Baustelle Straßenamt: Ist Arbeitsfähigkeit des Bezirksamtes gefährdet?

Große Anfrage, Drucks. Nr. 2241/XX (Fraktion DIE LINKE)

Frage 1

Wie stellen sich aus Sicht a) des FB Straßen und b) der SE FinPers die großen Bearbeitungsrückstände des Fachbereichs Straßen strukturell und finanziell dar?

Antwort zu Frage 1

Zu a: Der FB Straße befindet sich seit Jahren in einem überlasteten Zustand, der schon 2014/2015 zu einer bezirksinternen Organisationsuntersuchung durch den Steuerungsdienst führte. Viele der damals ermittelten Defizite sowie der daraus folgenden persönlichen Belastungen bestehen nach wie vor oder haben sich durch wachsende Aufgabenmengen und die höhere Komplexität der Aufgaben (Wohnungsbauvorhaben, Leitungssanierungen, Verkehrswende) verstärkt.

Die personelle Ausstattung ist für keinen der Aufgabenbereiche Straßenunterhaltung, Straßenaufsicht, Straßenneubau an den erforderlichen Mengen orientiert. Deshalb bauen sich Rückstände immer weiter auf, der FB reagiert auf Anträge zu spät und die Bearbeitung dauert viel zu lang, teilweise mehrere Jahre. Dies führt zur Behinderung von Bauvorhaben, Investitionen und wirtschaftlicher Entwicklung, z.B. weil Stromanschlüsse wegen fehlender Erlaubnisse nicht rechtzeitig gelegt werden können. Entsprechende Beschwerden, deren Bearbeitung wiederum Arbeitsaufwand bedeutet, sind häufig. Zum Beispiel liegen 28% aller unerledigten Anträge der Stromnetz Berlin in dieser Stadt in TS – wir sind damit mit Abstand der leistungsschwächste Bezirk in Berlin.  Auch für die Begleitung wichtiger und imageträchtiger bezirkseigener Stadtentwicklungsprojekte (Neue Mitte, Bahnhofstraße, Schöneberger Linse), für Erschließungsverträge und Radverkehrsprojekte stellt der FB den „Flaschenhals“ bei der Planung und Umsetzung dar. .

Im Neubau und in der Unterhaltung wurden seit 2016 erheblich mehr Investitionsmittel bereitgestellt, ohne dass das erforderlichen Personal den Bezirken zugewiesen wurde.

Das Mobilitätsgesetz sieht folgende neue Aufgaben für den FB Straßen vor:

  • Radschnellverbindung: SOLL bis 2030: 4 km, Bauausführung konzentriert sich wegen nötiger Planfeststellung wahrscheinlich auf 2025 – 2030
  • Vorrangnetz: SOLL bis 2030: ca. 65 km (geschätzt Sept. 2020), also pro Jahr ab 2021 ca. 7 km beidseitige Radverkehrsanlage.
  • Radverkehrsanlagen an Hauptverkehrsstraßen: SOLL bis 2030: ca. 134 km, somit pro Jahr ab jetzt 13 km beidseitige Radverkehrsanlage. Hier gibt es Überlappungen mit dem Vorrangnetz von ca. 40km.
  • Ergänzungsnetz: SOLL bis 2030: grob geschätzt auf Basis Radnetzentwurf SenUVK ca. 130 km (überwiegend in Nebenstraßen -> Fahrradstraßen, teilweise auch an Hauptverkehrsstraßen, dann wieder Überlappung mit obiger Position). Somit pro Jahr ab jetzt 13 km Fahrradstraße oder beidseitige Radverkehrsanlage
  • Kreuzungsumbauten für mehr Verkehrssicherheit: ganz Berlin je Jahr 30, somit anteilig im Bezirk 2 – 3 Kreuzungen je Jahr.

Die SOLL Vorgaben des MobG Berlin sind bisher an keiner Stelle in die erforderlichen Personalstellen übersetzt und etatisiert. Diesem Aufgabenanstieg konnte durch die bisherigen Einstellungen und Prozessoptimierung nicht hinreichend begegnet werden. Es ist auch nicht möglich, dem Aufgabenaufwuchs gegenzusteuern, da dieser von außen auf den FB einwirkt. Es kann nur reagiert, aber nicht proaktiv agiert werden. Eine „agile“ Haltung gegenüber Innovationen erscheint als Risiko, nicht als Chance.

Leider wurde durch die permanente Überlastung auch die KLR-Buchung vernachlässigt und es gibt keine validen Kennzahlen, um den Personalbedarf für die verschiedenen Aufgaben aus der KLR abzuleiten. Damit haben wir sowohl für die Bewertung der Effizienz bei der Bearbeitung keine Grundlage, als auch keine

um für erforderlichen Ressourcen für die Erreichung der SOLL Zahlen des Mobilitätsgesetzes.

Die permanente Überlastung im FB Straßen führt inzwischen zu einer Erosion beim bestehenden Personal. Die Position der Fachbereichsleitung und der Gruppenleitung Planung & Neubau sind unbesetzt, die mehrfach wiederholten Stellenausschreibungen laufen ins Leere. Mit großem Aufwand gefundene und eingestellte Mitarbeiter_innen kündigen nach einem Jahr wieder. 

Verbesserungen sind dringend geboten, um die Arbeits- und Leistungsfähigkeit des FB Straßen wiederherzustellen und den Fürsorgepflichten der Dienststelle nachzukommen. Hierbei ist auch eine Neubewertung des Ressourcenbedarfs und der technischen Ausstattung notwendig.

Daher ist nicht allein die Stabilisierung des Fachbereichs, sondern darüber hinaus auch eine Zukunftsperspektive für ein „Gutes Straßenamt“ unter Berücksichtigung der Ziele Mitarbeiterzufriedenheit, Wirtschaftlichkeit, Kundenzufriedenheit und fachliche Qualität zu entwickeln. Deshalb wurde das  Gutachten zur Organisationsüberprüfung und zur nachfolgenden Begleitung der Maßnahmen notwendig. nimmt diese Fragen auf und beteiligt die Mitarbeitenden bei der Entwicklung von Lösungen.

Zu b) da sich die Ergebnisse des Gutachters derzeit noch in der Prüfung durch den zentralen Steuerungsdienst befinden, kann hierzu noch keine Einschätzung abgegeben werden.

Frage 2

Um welche Aufgaben zu erfüllen, muss/musste der FB aus anderen Bereichen mit über 800.000 Euro mitfinanziert werden?

Antwort zu Frage 2

Eine Mitfinanzierung des FB Straßen aus anderen Bereichen i.H. von 800.000 Euro kann nicht nachvollzogen werden.

Die vorläufigen Ergebnisse der Kienbaumstudie, die im Hauptausschuss vorgestellt wurden, haben die zusätzlich erforderlichen produktspezifischen Stellen auf Basis der Aufgabenmenge und der Medianmenge pro Person ermittelt. Allerdings hat sich auch gezeigt, dass die Daten zu den Stückkosten noch validiert werden müssen. Sowohl die Pandemiesituation im letzten Jahr wie auch ein eher kursorisches Berichtswesen bei der KLR im FB Straße lassen hier erheblichen Raum für Unsicherheiten. Hier haben wir schon nachgesteuert und die Datenerfassung läuft jetzt stringenter.

Frage 3

Warum wurde der FB nicht ausreichend mit technischen Arbeitsmitteln ausgestattet, um bspw. Fotos zu machen?

Antwort zu Frage 3

Jeder Arbeitsplatz ist mit einem PC ausgestattet, der den aktuellen technischen Anforderungen des Berlin PC entspricht. Allerdings wurden seitens der IT-Stelle die USB-Ports gesperrt, um einen Fremdzugriff auf die PCs zu verhindern. Dies behindert auch den internen Datentransfer, z.B., wenn Mitarbeiter_innen auf Baustellen erstellte Fotos mit den insgesamt 19 zur Verfügung stehenden Digitalkameras (unterschiedliche Modelle) auf den PC übertragen möchten. Dies ist erst nach einer Freigabe des jeweiligen Kameramodells auf dem jeweiligen PC möglich. Dieser Erschwernis wurde inzwischen abgeholfen, indem kürzlich 17 Dienst-Smartphones aus einem Sonderprogramm beschafft wurden, mit denen ein Übertragen von Fotos auf die Arbeitsplatz-PCs problemlos möglich ist.

Ähnliche Hürden bestehen bei den Berlin PCs in Bezug auf die erforderlichen Grafikkarten für das Bearbeiten von technischen Plänen. Hier kommt es zum Teil zu erheblichen Verzögerungen, weil die Ämter nicht in der Lage sind, Korrekturen und kleinere Pläne digital zu zeichnen.

Frage 4

Für welche konkreten Aufgaben, die nicht umgesetzt werden, fehlen Geld und Personal?

Antwort zu Frage 4

Der kritische Punkt ist nicht das Fehlen von Sachmitteln, sondern die Nachsteuerung des Personals.

Stellen fehlt derzeit in mehreren Bereichen:

  • 1 Technische Straßenaufsicht zur Bearbeitung von Sondernutzungserlaub­nissen für Leitungsnetzbetreiber (das Fehlen führt zu fehlende Einnahmen in diesem Bereich und Verzögerungen z.B. bei Hochbaumaßnahmen und Netzerweiterungen) sowie für die Zustimmungen zu Anliegernutzungen wie Balkonen, Erkern, Kellerlichtschächten (das Fehlen führt zu Verzögerungen bei Hochbaumaßnahmen)
  • 2 Ingenieur_innen zur Umsetzung des Schlaglochprogramms
  • 2 Straßenbegeher_innen, um bei komplexer werdenden straßenbaulichen Anlagen (u.a. durch Radverkehrsanlagen etc.) die Kontrollintensität zu erhöhen und die Verkehrssicherung aufrecht zu erhalten
  • Je 1 Ingenieur_innen, 1 Techniker_innen und 1 Bauaufseher_innen zur Umsetzung des Inklusionskonzeptes
  • 1 Programm-/Projektmanager_in zur Wahrnehmung der nicht delegierbaren Bauherrenaufgaben in Bezug auf Aufstellung der Maßnahmen, Sicherstellung der Finanzierung, Einhaltung der Fristen, Termine und des Budgets sowie die Koordinierung der vielen verschiedenen Einzelprojekte miteinander
  • 2 Ingenieur_innen in der Planung für Fußverkehrsprojekte zur Umsetzung des neu gefassten Mobilitätsgesetzes nach § 51 (4) MobG (Förderung des Fußverkehrs)
  • 2 Ingenieur_innen für den Planungsbereich, um die verlorengegangene Planungskompetenz wiederaufzubauen. Dies ist notwendig, um bei den großen städtebaulichen Projekten des Bezirkes (Neue Mitte Tempelhof, Marienpark, Marienhöfe, Südkreuz usw.) nicht der „Flaschenhals“ für die anderen Ämter des Bezirks zu sein.
  • 1 dritte Gruppenleitung, denn der personelle Aufwuchs bedingt zusätzliche Ressourcen für die Führungs- und Leitungstätigkeit, Sicherung einer wirksamen Steuerung, Attraktivitätsgewinn und Entwicklungsperspektiven innerhalb des FB Straßen
  • 2 Referent_innen Radverkehr und e-Mobilität als Ansprechperson zum Thema nach innen und außen, Koordination aller thematischen Anfragen, Erstellung von Handlungs- und Umsetzungskonzepten, Entlastung der Ingenieure, damit derartige Anfragen nicht weiterhin in Leere laufen.
  • 2 Personen für eine Koordinierungsstelle öffentlicher Raum  zur Verbesserung einer bezirksübergreifenden Zusammenarbeit und gesamtbezirkliche Planung des Verkehrs; Verantwortung für den Verkehrsentwicklungsplan und interne Dienstleistungen zu Projekten der Berliner Schulbauoffensive, der Stadtentwicklung usw.
  • 2 Personen zur federführende Bearbeitung aller Anfragen (u.a. BVV-Drucksachen und Geschäftszeichen, Beschwerden, Petitionen, Bürgeranfragen) zur Entlastung der operative Ebene und zum Aufbau und zur Pflege eines Berichtswesens und Steuerungssystems

Frage 5

 Welche Interessensunterschiede bestehen zwischen der SE FinPers und dem FB Straßen, wenn es um die personelle Ausstattung des Fachbereichs geht?

Antwort zu Frage 5

Sowohl der FB Straßen als auch der SE FinPers verfolgen das Ziel, den Fachbereich Straßen mit seiner für die Aufgabenerfüllung notwendigen Personalstärke auszustatten.

Wie dieses am besten gelingt, ist Gegenstand der Chefgespräche, der Haushaltsverhandlungen im nächsten Bezirksamt und der noch laufenden Evaluierung des Gutachtens.

Frage 6

Zeichnen sich auf Senatsebene Impulse ab, um die bestehende Konkurrenz zwischen den Behörden, aber auch dem freien Arbeitsmarkt in Bezug auf die Personalgewinnung und - haltung zu verringern?

Antwort zu Frage 6

Leider nein.

Die Schere zwischen Aufgabenaufwuchs und verfügbarem Fachpersonal ist spätestens seit Verabschiedung des Mobilitätsgesetzes offensichtlich. Maßnahmen, um hier gegenzusteuern sind mir nicht bekannt.

Das PARI Projekt hat die Straffung von Abstimmungsprozessen und damit Entlastung des Personals als Ziel. Dieses Projekt ist noch nicht abgeschlossen, wird aber ähnlich wie bei anderen Reformprozessen auch, keine schnelle Lösung für den Fb Straße im Bezirk ergeben.

Insofern bleibt derzeit offen,  - insbesondere mit Blick auf die fehlenden Ressourcenzusagen für den Teil Fußverkehr des Mobilitätsgesetzes und der Teile zum Wirtschaftsverkehr, wie und in welchem Umfang die Bezirke entsprechende Projekte umsetzen können.

Frage 7

Wie sollen die Ergebnisse der "Organisationsuntersuchung FB Straßen und Zukunftsperspektiven" konkret in die Verwaltung umgesetzt werden?

Antwort zu Frage 7

Die Vorschläge des Gutachters enthalten sowohl sog. “Quick-wins” für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Arbeitsmittel als auch strukturelle Änderungen.

Der Aufbau einer eigenen Gruppe Straßenaufsicht reagiert auf die starke Zunahme des Sondernutzungsanträge.

Eine neue zentrale Koordinierungsstelle soll vor allem der Bündelung von Koordinierungsaufgaben zwischen der Stadtplanung, FM, dem Schulamt und dem SGA aber auch der überbezirklichen Koordinierung des Vorrangnetzes im Radverkehr dienen. Eine Stelle für die Bearbeitung von Bürgeranfragen und BVV Anfragen soll die Führungskräfte entlasten und mehr Zeit für Führung und komplexe fachliche Vorgangsbearbeitung erlauben.

Zur Aufgabe des Auftragnehmers gehört es, die Mitarbeiter_innen des FB Straßen bei der Umsetzung der gewonnenen Erkenntnisse zu begleiten und die Führungskräfte zu coachen.

Frage 8

Gibt es innerhalb des Bezirksamts (z.B. über den Steuerungsdienst) noch weitere Impulse, die Situation des FB Straßen strukturell zu verbessern?

Antwort zu Frage 8

Der Steuerungsdienst sichtet die Empfehlungen des Gutachters derzeit noch. Insofern ist der Prozess noch nicht abgeschlossen. Eine Antwort wird zur gegebenen Zeit erfolgen.

Der Aufbau einer Koordinierungsstelle im SGA für die großen und vielen Bauvorhaben im Kontxt der Schulbauoffensive wird von den betroffenen Ämtern unterstützt.