Sanktionen bei ALG-II-Empfänger_innen sind verfassungswidrig

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. November 2019  ist die gesamte Sanktionspraxis in Frage zu stellen. Jedoch für ein absolutes Verbot dieser Verfahren wollte das Gericht sich dann doch nicht aussprechen. Aber zumindest ist eine Regelung jetzt festgeschrieben, die eine weniger drastische Sanktionierung vorsieht, bis zu der Möglichkeit des Ermessens, „wenn nach Einschätzung der Behörde die Zwecke des Gesetzes nur erreicht werden können, indem eine Sanktion unterbleibt.“ Eine Minderung des Regelbedarfs bei sogenannten Pflichtverletzungen der/des ALG-II-Empfänger_in/s darf, auch bei Wiederholungen, nicht über 30% hinausgehen. Bei den meisten „Pflichtverletzungen“ geht es dabei um die Meldeversäumnisse beim Jobcenter. Aber es können auch Sanktionen verhängt werden, wenn ein Job wegen Unzumutbarkeit von den Betroffenen wieder verlassen wird, weil sie sich ausgebeutet sehen, unterschriebene Vereinbarungen mit dem Jobcenter über die gesetzte Anzahl von Bewerbungsschreiben nicht einhalten oder die Bewerbungsschreiben dem Jobcenter aufgrund von immer gleichen Textbausteinen nicht gefallen. Sanktionen gingen bisher soweit, dass Kürzungen um bis zu 100% wegen mangelnder Mitwirkungspflicht der Betroffenen möglich waren. Da diese Kürzungen, die die Existenz eines Menschen bedrohen, eine Menschenrechtsverletzung (nach unserem Grundgesetz) darstellen, ist jetzt erst, nach 15 Jahren Hartz IV, eine Abmilderung geschaffen worden. Dass es überhaupt zu diesem Urteil kam, ist vielen Engagierten zu verdanken: kritischen Sozialwissenschaftler_innen und in der Sache überzeugten Anwält_innen, der intensiven Zusammenarbeit von Betroffenen-Organisationen, Sozialverbänden und nicht zuletzt der Partei DIE LINKE und ihrer Basisorganisationen, die unermüdlich diese Art Erziehungsmaßnahmen an den Bedürftigen anprangerten.

Auf bezirklicher Ebene wird DIE LINKE in der Dezember-BVV einen Antrag einreichen, der das Bezirksamt ersucht, sich beim Jobcenter dafür einzusetzen, im Rahmen eines Pilotprojektes für die Dauer von zwei Jahren auf Sanktionen gegenüber Sozialleistungsbezieher_innen nach dem SGB XII zu verzichten. Denn nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes bleibt den Behörden es freigestellt, ob die Leistungsempfänger_innen sanktioniert werden. Hierzu die Entscheidungsformel des BverG: „[...] dass die Leistungsminderung wegen einer Pflichtverletzung nach §31 Absatz 1 SGB II nicht erfolgen muss, wenn dies im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände zu einer außergewöhnlichen Härte führen würde. Insbesondere kann von einer Minderung abgesehen werden, wenn nach Einschätzung der Behörde die Zwecke des Gesetzes nur erreicht werden können, indem eine Sanktion unterbleibt.“

DIE LINKE kämpft weiterhin auf lokaler Ebene in den verschiedenen Gremien für die Belange der Leistungsempfänger_innen und unterstützt ALG-II-Empfänger_innen mit dem Angebot anwaltlicher Beratung und ggf. Begleitung zum Jobcenter. Auf Bundesebene setzen wir uns u.a. für die Abschaffung von Hartz IV und einen höheren Leistungsbezug ein.

Elisabeth Wissel