Kiezblocks unter der Lupe

Große Anfrage, Drs. 0636/XXI, Bezirksverordneter Martin Rutsch (Fraktion DIE LINKE)

1) Über welche im Bezirk befindlichen Kiezblockinitiativen hat das Bezirksamt Kenntnis?

Antwort auf 1. Frage:

1 Winterfeldtkiez Schöneberg

2 Barbarossakiez Schöneberg

3 Akazienkiez, Schöneberg

4 Monumentenzug Schöneberg

5 Schöneberger Dreieck

6 Gartenstadt Tempelhof

7 Tempelhofer Kiez

8 RIAS-Kiezblock, Grenzüberschreitend, mit Wilmersdorf

9 #Kiezblocks - Grenzüberschreitend Kiezblock mit Tiergarten Flottwellkiez

Mehr Infos: #Kiezblocks - Kiezblocks-Initiativen, Berlinweit gibt es bereits 65/180 Kiezblock-Initiativen.


2) Gibt es innerhalb der Verwaltung eine über die Regulierung von Durchgangsverkehr hinausgehende Definition von einem Kiezblock?

Antwort auf 2. Frage: Der Leitfaden zur Verkehrsberuhigung in Kiezen von SenMVKU (2023) fasst unter dem Begriff Kiezblock in Bezug auf Berliner Wohnquartiere mehrere Maßnahmen zusammen. Neben der Regulierung des Durchgangsverkehrs zählen auch Maßnahmen zur allgemeinen Verkehrsberuhigung und –reduzierung, der Schulwegsicherheit und Maßnahmen, die zur Anpassung an den Klimawandel und zur Verbesserung der Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum beitragen.


3) Wo sieht das Bezirksamt Schnittmengen und wo Konflikte bei Kiezblocks mit den Grundsätzen des bisherigen Mobilitätsgesetzes?

Antwort auf 3. Frage: Kiezblöcke sind ausgewählte Räume, die die „Sicherheit“ aller stärken. Dies fußt auf den Grundsätzen des Mobilitätsgesetzes und wird für die verschiedenen Bereiche (Rad- und Fußverkehr, Schulwegsicherheit und Barrierefreiheit) integriert betrachtet.

4) Wie bewertet das Bezirksamt die möglichen zusätzlichen Belastungen (Verkehr, Lärm, Hitze, Feinstaub) für diejenigen, die an den Rändern der Kiezblocks in den Hauptstraßen wohnen?

Antwort zur 4. Frage: Das übergeordnete Entwicklungsziel ist eine flächendeckende Reduzierung der Lärm-, Hitze- und Feinstaubbelastungen. Das Bezirksamt geht von keinen zusätzlichen verkehrsinduzierten Belastungen für Bewohner*innen an Hauptstraßen aus. Dem liegt zu Grunde, dass die Verkehrsnachfrage grundsätzlich nicht konstant ist, sondern sehr stark von der zur Verfügung stehenden Verkehrsfläche abhängt. Neben den Kosten stellt die individuelle Wege- und Verkehrsmittelwahl sowie das benötigte Zeitbudget des Nutzers ein entscheidendes Kriterium dar. Es ist deshalb davon auszugehen, dass bei der Beruhigung von Anwohnerstraßen und der Sperrung von Durchfahrten die umliegenden Hauptstraßen nicht mit zusätzlichem Verkehr belastet werden, insbesondere dann nicht, wenn diese bereits an der maximalen Leistungsfähigkeit operieren. Zudem verzeichnen Ausweichrouten übermäßig starken Schleichverkehr in Zeiten von labilem Verkehrsfluss auf den Hauptstraßen, die Reisezeit des einzelnen Verkehrsteilnehmenden wird dadurch aber nicht verkürzt, da die Einfädelung in das überlastete Hauptstraßennetz anschließend auch nicht mehr möglich ist. Das heißt in der Praxis, dass der Stau des übergeordneten Verkehrs in die Wohnstraßen ausgeweitet wird, mit allen negativen Folgen, die das für Anwohnende hat. Eine Verkürzung der Reisezeit im Netz wird dadurch nicht erreicht. Hier muss generell zwischen der individuellen Wahrnehmung von Einzelpersonen und den tatsächlich messbaren statistischen Effekten klar unterschieden werden. Die bisherge Studienlage zu schon umgesetzten flächenhaften Verkehrsberuhigungsmaßnahmen in London und Barcelona haben diesen Effekt bestätigt. Es findet nach Umsetzung der Maßnahmen nicht der gleiche Verkehr woanders statt, sondern stattdessen gibt es eine Verkehrsvermeidung oder eine Verlagerung auf andere ökologischere Verkehrsmittel. Folglich profitieren durch die genannten Maßnahmenbündel insbesondere auch Menschen, die angrenzend an verkehrsberuhigten Arealen wohnen, von einer besseren Grünflächenversorgung und weniger Lärm-, Hitze- und Feinstaubbelastung.

5) Mit welcher Mindestumsetzungszeit durch die Verwaltung wäre bei den im Bezirk bekannten Initiativen zu rechnen?

 Antwort zur 5. Frage Darüber lässt sich noch keine Aussage treffen. Viele Faktoren müssen hier berücksichtigt werden von der Integration in bestehende Planungen bis hin zur einzelnen Maßnahme, die je nach Maßnahme auch unterschiedlich viel Ressourcen finanziell und personeller Art binden.

6) Wie würde das Bezirksamt bei entsprechendem Beschluss der BVV die notwendige Beteiligung umsetzen, damit möglichst alle Betroffenen und Interessentengruppen (u.a. bei Schulwegsicherheit, Fußverkehr etc.) eingebunden sind und alle Stimmen gehört werden?

Antwort zur 6. Frage: Eine Beteiligung wird frühzeitig und zielgruppenspezifisch entsprechen der geltenden Vorgaben für Berlin durchgeführt. Diese können online über mein.berlin oder beispielsweise auch in Form von Beteiligungsworkshops vor Ort erfolgen. Wichtig ist hierbei möglichst die verschiedenen Perspektiven und Betroffenheiten, aber auch das lokale Wissen in den Prozess mit einzubeziehen. Dies kann bei verschiedenen Maßnahmen mit jeweils unterschiedlichen Zeithorizonten auch kontinuierlich erfolgen.

7) Gibt es möglichst wissenschaftliche Erkenntnisse, dass die Einführung von Kiezblocks bzw. Maßnahmen gegen übermäßigen Durchgangsverkehr eine relevante Reduzierung von Hitzeinseln im gesamten Gebiet (inklusive Hauptstraßen) zur Folge haben?

Antwort zur 6. Frage: Untersuchungen aus den Superblocks in Barcelona und den Low Traffic Neighbourhoods in London zeigen, dass verkehrsreduzierende Maßnahmen einen positiven Effekt, sowohl auf das Stadtklima als auch die Gesundheit der Bewohner*innen, haben. Dieser Effekt ist vor allem über das veränderte Mobilitätsverhalten zurückzuführen (traffic evaporation“). Nello-Deakin 2022 Exploring traffic evaporation-findings from tactical urbanism interventions in barcelona Barcelona Superblocks - Verkehr Innerhalb geht stark zurück, an den Hauptstraßen sogar auch fast 1% zurück. Thomas & Aldred 2023 Changes in Motor Traffic inside LTNs and on boundary roads Analyse von 46 LTNs in London – Verkehr geht stark zurück innerhalb LTNs, an Hauptstraßen verändert sich es kaum (ca. 1%). Verlinghieri et al. 2022 Nobody Left Behind Envisioning inclusive cities in a low car future LTNs dienen nicht nur denjenigen innerhalb des Bereichs, sondern alle profitieren davon – wenn auch in unterschiedlichen Maß. Laverty et al. 2021 The Impact of Introducing Low Traffic Neighborhoods on Road Traffic Injuries Goodman et al. 2021 Impacts of 2020 LTN in London on Road Traffic Injuries LTNs bringen mehr Sicherheit (weniger Unfälle) innerhalb, an den Hauptstraßen drum herum keine Abnahme der Verkehrssicherheit. Die positive Wirkung einzelner Maßnahmen als auch von Maßnahmenbündeln zeigt sich also bereits an vielen Beispielen der Reduzierung des motorisierten Verkehrs in anderen Städten.


8) Welche ergänzenden oder evtl. einen Kiezblock ersetzenden straßenbauliche Maßnahmen gibt es, um Beschwerden von Anwohnenden zu Raserei im Kiez und die generelle Verkehrsbelastung nachzukommen?

Antwort zur 8.Frage: Bauliche Maßnahmen in Form von Bodenschwellen, Aufpflasterungen wie das Berliner Kissen oder auch der Einsatz von Pollern können Raserei vorbeugen und die Verkehrsbelastung senken, aber auch vorgezogene Fußgängerüberwege erfordern eine geringere Fahrgeschwindigkeit seitens des motorisierten Verkehrs und stärken die Verkehrssicherheit für den Fuß- und Radverkehr. Eine nicht geradlinige Verkehrsführung, zum Beispiel durch bauliche Elemente wie Grüninseln und Versickerungsbecken bzw. Regenwasserspeicher, reduziert die Fahrgeschwindigkeit und fördert ebenfalls die Anpassung an den Klimawandel und die Aufenthaltsqualität.

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