„Schulbauoffensive“ - ohne Ziele für pädagogisch-sinnvolle Versorgung?

Harald Gindra

Wir fragen das Bezirksamt:

  1. Aus welchen Gründen sieht das aktuelle Schulmonitoring – genehmigt von der Senatsverwaltung – anhaltenden Schulplatzmangel bis 2040 vor?

    Antwort auf 1. Frage
    Das jährlich durchgeführte Monitoringverfahren im Rahmen der Schulnetz- und Standortplanung liegt in der Verantwortung der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie. Es erfolgt keine Genehmigung der bezirklichen Planungen durch die Senatsverwaltung, sondern eine Abstimmung zwischen Senatsverwaltung und Bezirk hinsichtlich der Schulplatzkapazitäten und -bedarfe. Die Gründe für den prognostizierten Schulplatzmangel sind vielfältig. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass der Bedarfsermittlung rechnerische Klassen- bzw. Kursfrequenzen zugrunde gelegt werden, die nicht den tatsächlichen und rechtlich möglichen Frequenzen entsprechen. Darüber hinaus ist zwischen der Bedarfsermittlung für den Primar- und Sekundarschulbereich zu unterscheiden. Während für den Primarbereich Einschulungsbereiche gelten und dadurch tatsächlich weitgehend nur die entsprechende Wohnbevölkerung zu versorgen ist, gelten für den weiterführenden Bereich keine Einschulungsbereiche und als Datengrundlage die „Bevölkerungsprognose“ unter maßgeblicher Berücksichtigung des Wohn- und nicht des Schulorts, was die tatsächliche Bedarfsfeststellung erschwert. Im weiterführenden Bereich sind die bezirklichen Bedarfsprognosen daher stets im Zusammenhang und in Abhängigkeit mit den Schulplatzkapazitäten in den anderen Bezirken zu betrachten. So ist festzustellen, dass der Bezirk Tempelhof-Schöneberg ein „aufnehmender“ Bezirk ist, der im Saldo in nicht unerheblichem Umfang zusätzlich Schülerinnen und Schüler aus anderen Bezirken beschult. Da alle Bezirke beim Aufnahmeverfahren im Übergang der Klassenstufe 6 zu 7 den schulgesetzlichen Regelungen unterliegen und im Erstwunsch kein Wohnortprinzip gilt, lässt sich an dieser Situation nichts ändern. Die Bevölkerungsprognose der SenStadt als maßgebliche Datengrundlage des Monitorings geht davon aus, dass sich der Schulplatzbedarf im Bereich der Primarstufe bis 2040 nach zuvor weiter leicht und regional unterschiedlich steigenden Zahlen auf hohem Stand konsolidieren wird und im Bereich der weiterführenden Schulen eine erhebliche Zunahme der Schulplatznachfrage zu erwarten ist. Bis 2040 wird für den Bezirk ein Zuwachs um ca. 900 Personen im schulpflichtigen Alter von 12 bis unter 16 Jahren erwartet. Für den Bezirk Tempelhof-Schöneberg kann festgestellt werden, dass bis 2032/33 mithilfe der durch die HOWOGE in Amtshilfe errichteten Schulneu- und Ersatzneubaumaßnahmen ausreichend Kapazitäten geschaffen werden, um die eigene Wohnbevölkerung der entsprechenden Altersgruppe dauerhaft mit einem Schulplatz zu versorgen. Für den Bereich der Primarstufe wird der Handlungsbedarf im Monitoringbericht wie folgt beschrieben (3.7, S. 15): „Es ist daher erforderlich, dass alle in die Berechnung eingeflossenen Maßnahmen rechtzeitig umgesetzt werden, und darüber hinaus die Finanzierung der Maßnahmen ‚mit Finanzierungsvorbehalt‘ oder ‚ohne Finanzierung‘ entsprechend gesichert wird.“ Umsetzungsrisiken bestehen sowohl aufgrund der nicht für alle notwendigen Maßnahmen ausreichenden Finanzierung über das Investitionsprogramm des Landes Berlin, die erschwert wird durch den enormen Anstieg der für die Maßnahmen ermittelten Baukosten, als auch hinsichtlich der nur begrenzt zur Verfügung stehenden Personalressourcen in den bezirklichen Baudienststellen und der dadurch erheblich verzögerten oder nicht möglichen Bearbeitung notwendiger Maßnahmen. Nicht außer Acht gelassen werden darf der derzeit nur sehr eingeschränkte Fokus auf reine Sanierungsmaßnahmen und der drohende baubedingte Verlust von Schulplatzkapazitäten. Resümierend kann festgestellt werden, dass der Schulplatzbedarf erheblich schneller angewachsen ist und weiter anwachsen wird, als die zur Umsetzung der als notwendig erachteten Maßnahmen zur Verfügung stehenden personellen und finanziellen Ressourcen.

  2. In welchem Umfang werden die pädagogisch sinnvollen Klassenfrequenzen (zwischen GS 24  bis Sek. I Gym. 29 Schüler*innen), die dem Bedarf zugrunde liegen derzeit überschritten (Bitte die Ist-Werte im Bezirksdurchschnitt für die jeweiligen Schulformen und Sek I/Sek II)?

    Antwort auf 2. Frage
    Auf Nachfrage bei der für die Schülerstatistik zuständigen SenBJF wurde mitgeteilt, dass die Eckdaten zu allgemeinbildenden Schulen für das Schuljahr 2025/26 noch nicht zur Verfügung stehen. Die Ermittlung und Darstellung der aktuellen Klassenfrequenzen (Ist-Werte) im Bezirksdurchschnitt für die jeweiligen Schulformen und nach Sek I/Sek II ist daher derzeit nicht möglich.

  3. Kann man angesichts der mittelfristigen Planung der Senatsverwaltung bis 2040 die Zielstellung so zusammenfassen: Da ohnehin nicht genug neue Lehrkräfte ausgebildet werden, braucht es auch mittelfristig keinen Ausbau der Schulen um die angestrebten Klassenfrequenzen wenigstens bis 2040 zu erreichen?

    Hierzu teilt die SenBJF mit, dass das strategische Ziel der Schulentwicklungsplanung die Bereitstellung eines regional ausgewogenen, langfristig tragfähigen Standortnetzes unter Einhaltung aller gesetzlichen und von der Fachverwaltung gesetzten schulfachlichen Standards ist. Um unter den Bedingungen einer wachsenden Stadt der zunehmenden Schulplatznachfrage im Bereich der öffentlich allgemeinbildenden Schulen gerecht zu werden, wurde ein jährlich durchgeführtes Monitoring-Verfahren als Planungsinstrument im Rahmen der Berliner Schulbauoffensive (BSO) eingeführt. Ziel des Verfahrens ist es, ein berlinweit einheitliches Monitoring der Bedarfs- und Kapazitätsentwicklung von Schulplätzen zu erstellen. Dies ermöglicht eine Dokumentation bezirklicher Schulnetzplanungen, eine Steuerung der Schulbaumaßnahmen im Rahmen der BSO durch eine schulfachliche Priorisierung sowie eine damit einhergehende mittel- und langfristige Flächenvorsorge. Im Rahmen des Monitoring-Verfahrens der Schulplatzprognose ist die „Bevölkerungsprognose für Berlin und die Bezirke 2021 – 2040“ der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen (SenStadt) empirische Grundlage. Die Bevölkerungsprognose beschreibt die Entwicklung der Einwohnerinnen und Einwohner am Wohnort. Die Monitoring-Ergebnisse für das Schuljahr 2025/2026 werden regelrecht und dem Zyklus folgend mit Beginn des kommenden Kalenderjahres ermittelt. Laut Monitoring 2024/2025 fehlten rechnerisch zum Schuljahresbeginn berlinweit rund 26.000 Schulplätze. Ein Abbau dieses schulfachlichen Defizits durch Schaffung neuer Kapazitäten ist neben dem Substanzerhalt durch Sanierungen oberste Priorität der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie im Rahmen der Berliner Schulbauoffensive.

  4. Wie schätzt das Bezirksamt die fortbestehenden Risiken bei der Umsetzung der bescheidenen Schulausbau-Ziele der nächsten Jahre ein (bezüglich Bestätigung der „Jahresscheiben“ von finanziellen Mittel im Investitionsprogramm, eingeschränkter  Kapazitäten bei Projektleitern in der SE FM, diverser Abhängigkeiten bei Herrichtung von „Drehscheibenschulen“ und zahlreicher ineinandergreifender Umzüge verschiedener Schulen)?

    Antwort zur 4. Frage
    Das bezirkliche Schul- und Sportamt hat sich gemeinsam mit den bezirklichen Baudienststellen sehr hohe Schulausbau-Ziele gesteckt und ist dabei, diese konsequent und mit Erfolg umzusetzen. Da der Bezirk allein diese Ziele mit den begrenzten eigenen Ressourcen nicht erreichen kann, lässt er sich im Rahmen der Amtshilfe durch den Senat unterstützen. An der Sanierung, Anpassung und Erweiterung der bezirklichen Schulen sind daher neben den bezirklichen Baudienststellen, hier insbesondere der Fachbereich Baumanagement der SE FM sowie der Fachbereich Grünflächen im Straßen- und Grünflächenamt, die in Amtshilfe tätig werdende Abteilung V der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung sowie die HOWOGE beteiligt. Die SenStadt lässt für den Bezirk derzeit den insgesamt vierten Modularen Ergänzungsbau errichten (in der Schätzelberg-Grundschule) und hat damit insgesamt einen Kapazitätszuwachs von ca. 8 Zügen geschaffen. Demnächst wird die SenStadt die Gesamtsanierung mit notwendigen Standardanpassungen für das Rückert-Gymnasium beginnen und den drohenden Kapazitätsverlust abwenden helfen. Nicht zu vergessen sind die beiden derzeit im Bau befindlichen Schulsporthallen zur Sicherung des Schul- und Vereinssports im Bezirk. Eine weitere Typensporthalle soll demnächst am Perelsplatz folgen. Durch die HOWOGE lässt der Bezirk derzeit einen 6-zügigen Schulneubau auf einem neuen Schulstandort an der Eisenacher Straße in Mariendorf errichten, der planmäßig zum Schuljahr 2026/27 ans Schulnetz gehen soll. Auf der Basis einer bereits geschlossenen Projektvereinbarung soll im Rahmen eines Ersatzneubaus die Solling-Schule um 1,5 Züge baulich erweitert werden. Die Projektvereinbarungen für einen Neubau einer ISS 4+2 am Tirschenreuther Ring 69, für eine 3-zügigen Grundschule an der Marienfelder Allee und für den Ersatzneubau für das Georg-Büchner-Gymnasium mit zusätzlichen 3 Zügen stehen kurz vor dem Abschluss. Das Bezirksamt verfolgt auch für die bezirklichen Investitionsvorhaben einen ausgewogenen Umsetzungsfahrplan, der entsprechend der sich ändernden Bedarfe und Dringlichkeiten jährlich überprüft und angepasst wird. Dieser ist Grundlage für die Fortschreibung des Investitionsprogramms sowie der Arbeitsplanungen der bezirklichen Baudienststellen. Fehlendes Fachpersonal in beiden Baudienststellen, geringere Spielräume hinsichtlich der Finanzierung von Personalstellen, ein Ungleichgewicht in der Eingruppierung von Projektmanagementstellen zwischen den Bezirksverwaltungen, Hauptverwaltungen und Bundesbaudienststellen sowie die abzusehenden Altersabgänge erfahrener Projekt- und Bauleitungen (Stichwort „Baby-Boomer“) stellen ebenso eine große Herausforderung für den Bezirk dar, wie die begrenzt zur Verfügung stehenden Mittel bei gleichzeitig weiter steigenden Baupreisen. Daher stellt aus Sicht der SE FM die klare Priorisierung – abgestimmt zwischen Bedarfsträger und beiden Baudienststellen – in Kombination mit der Umsetzung der in Amtshilfe erfolgenden Maßnahmen eine wesentliche Grundlage für die Erreichung der Ausbauziele dar. Den genannten Risiken sollte insbesondere durch landesweite Verfahrenserleichterungen bzw. -verkürzungen begegnet werden, um mit den begrenzten Ressourcen größere Umsetzungserfolge zu erzielen.

  5. Wie viele Willkommensklassen, mit welcher Gesamtzahl an Schüler*innen, sind derzeit bei den Regelschulen eingerichtet, wie hoch war die Anzahl in der Spitze in den letzten Jahren?

    Antwort zur 5. Frage
    Derzeit hat das Schul- und Sportamt an den bezirklichen Schulen 80 Willkommensklassen eingerichtet, denen bisher 751 Schülerinnen und Schüler zugewiesen wurden. Grundsätzlich ist festzustellen, dass aufgrund der häufig zum jeweils neuen Schuljahr erfolgenden Übergänge in Regelklassen oder aufgrund von Wegzügen die Auslastung der Willkommensklassen zum Schuljahresbeginn deutlich geringer ausfällt als zum Schuljahresende und sich im Verlaufe des Schuljahres deutlich erhöht. In dieser frühen Phase des neuen Schuljahres erfolgen noch in vielen Fällen die Zuweisungen für einen Schulplatz und die Regelungen zur Aufnahme aufgrund von Zuzügen in die zahlreichen Unterkünfte im Bezirk, sodass noch keine valide Datenerhebung zu den aktuellen Schülerzahlen vorliegt. Täglich werden dem Schul- und Sportamt mehrere Zuzüge gemeldet, für die dann schnellstmöglich Schulplätze bereitgestellt werden müssen. Mit insgesamt 1.170 Schülerinnen und Schüler in 88 Willkommensklassen wurden zum Ende des Schuljahres 2023/2024 am meisten Kinder und Jugendliche ohne ausreichende Deutschkenntnisse an den bezirklichen Schulen unterrichtet.

  6. Welche Rolle spielt die Unterbringung von geflüchteten Schulpflichtigen bei der Kapazitätsberechnung (bei Willkommensklassen / Regelklassen)?

    Antwort zur 6. Frage
    Die SenBJF teilt hierzu mit, dass Schülerinnen und Schüler, die eine Willkommensklasse besuchen, Teil der Schülerstatistik und somit in den Bedarfserhebungen zu den Schulplätzen im Rahmen des Monitoring-Verfahrens berücksichtigt sind. Eine Integration dieser Schülerinnen und Schüler ins Regelschulsystem bleibt das Ziel. Das Schul- und Sportamt ergänzt hierzu Folgendes: Bei den Modellrechnungen im Rahmen des Schulplatzmonitorings auf Grundlage der Bevölkerungsprognose der SenStadt handelt es sich um Annahmen. In dem Bericht der SenStadt zur Bevölkerungsprognose 2021-2040 heißt es: „Prognosen sind ‚Wenn-dann-Aussagen‘. Das bedeutet: Wenn die Entwicklung der Prognoseparameter so verläuft wie angenommen, dann treten die prognostizierten Entwicklungen ein.“ … „Die Bevölkerungsprognose 2021 – 2040 ist auch geprägt von der erheblichen Unsicherheit hinsichtlich der Zuwanderung.“ Insbesondere die Neubelegung von Gemeinschaftsunterkünften wie kürzlich an der Potsdamer Straße, die Unterbringung in Hostels (ASOG-Unterbringung) oder der Ausbau der Kapazitäten auf dem THF im Zuge der Reduzierung der Kapazitäten am Standort Flughafen Tegel konnten in der Bevölkerungsprognose nicht valide vorhergesagt und somit auch nicht hinsichtlich der Kapazitätsberechnung berücksichtigt werden, ebenso wenig wie der tatsächliche Anteil der Schulpflichtigen unter den in den Einrichtungen untergebrachten Zugewanderten. Willkommensklassen gelten unverändert als temporäre Lerngruppen, für die keine eigenen Raumkapazitäten anrechenbar sind.

  7. Besteht der Zusammenhang, dass durch den schleppenden Ausbau der Regelschulen jetzt zunehmend abgetrennte Geflüchteten-Schulen, wie am Tempelhofer Feld, ausgebaut werden?

    Antwort zur 7. Frage
    Die SenBJF teilt zu dieser Frage mit, dass mit den Neubaumaßnahmen zahlreiche Schulplätze geschaffen werden. Trotzdem bestehen Defizite an Schulplätzen im Land Berlin, was die Beschulung von geflüchteten Kindern und Jugendlichen aufgrund der besonderen Herausforderung der Standortspezifika der Unterkünfte erschwert. Willkommensschulen an den Orten der Unterkünfte sind deshalb zu planen. Dies sichert ein Bildungsangebot von Beginn an und entspricht der Gewährleistung der gesetzlichen Schulpflicht. Ziel bleibt die integrative Beschulung von Geflüchteten im Regelschulsystem in Bestandsschulen und dort auch in Willkommensklassen.

  8. Gibt es berechtigte Hoffnungen, dass aus dem „Sondervermögen“ (-schulden) Kommunen (100 Mrd. € bundesweit) in den nächsten Jahren zusätzliche Mittel in den Berliner Schulbau fließen?
  9. Antwort zur 8. Frage
    Die SenFin teilt hierzu mit, dass der Anteil des Landes Berlin am Sondervermögen für „Infrastruktur und Klimaneutralität“ des Bundes im kommenden Haushalt in Kapitel 2980 abgebildet werden wird. Die Entscheidung, welche Investitionsvorhaben in welcher Höhe zukünftig durch das Land Berlin über das Sondervermögen finanziert werden sollen, trifft das Parlament im Zuge des Beschlusses zum Haushaltplan 2026/2027. Das Gesetzgebungsverfahren hierzu ist noch nicht abgeschlossen. Es ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass im Zuge der Berliner Schulbauoffensive (BSO) seit 2016 über 6 Mrd. EUR im Schulbau verausgabt wurden, einschließlich der Investitionen der Howoge Wohnungsbaugesellschaft mbH. Im Entwurf des Senats für den Doppelhaushalt 2026/2027 ist die BSO weiterhin als einer der großen investiven Schwerpunkte des Landes fortgeschrieben.

    Die Antwort erfolgte durch Bezirksstadtrat Tobias Dollase.