„Am Winterfeldt“ - eine Klarstellung

In den letzten Ausgaben des Tagesspiegel Newsletters Tempelhof-Schöneberg wurde mehrfach über das Projekt „Am Winterfeldt“ berichtet. Die LeserInnen wurden aufgefordert, sich mit ihren Meinungen zum Projekt zu Wort zu melden. Das tun wir als Fraktion DIE LINKE, weil wir glauben, dass es an einigen Stellen einer Klarstellung bedarf.

Die Linksfraktion in Tempelhof-Schöneberg spricht sich klar gegen Spekulation, den Neubau von Luxuswohnungen und eine undurchdachte Nachverdichtung auf Kosten der Anwohner und von Grünflächen aus, wie sie leider zunehmend im Bezirk stattfinden. An dem Wohnungsneuvorhaben „Am Winterfeldt“ kristallisieren sich diese Konflikte. Wir unterstützen inhaltlich die Petition „Wohnen muss für alle möglich sein: Keine Luxus-Wohnungen im Winterfeldt-Kiez“, würden jedoch den Adressaten um das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg erweitern.

Wir brauchen sozialverträglichen Neubau mit erschwinglichen Mieten. Wir sehen in Luxusbauten und der Ansiedlung von höherwertigem Gewerbe (Wirtschaftswunder, EUREF, Barbarossadreieck) eine weitere Gentrifizierungsgefahr, der planerisch begegnet werden sollte. Da hat das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg großen Nachholbedarf.

Eine Kleine Anfrage unserer Fraktion hat gezeigt, dass 2019 insgesamt 1028 Wohnungen fertiggestellt worden sind, wovon lediglich 55 gefördert, also preisgünstiger Wohnraum, waren (vgl. Drucksache 0569/XX). Alle anderen sind auf dem freien Markt erhältlich und entsprechend teuer.

Vor allem die Öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften leisten einen Beitrag für preisgünstigen Wohnraum. Um bei privaten Wohnungsunternehmen ebenfalls einen gesellschaftlichen Mehrwert zu erzielen, sollte das Bezirksamt alles unternehmen, um beispielsweise das „Kooperative Baulandmodell“, das preisgünstigen Wohnraum (30% der Wohnfläche) zumindest für 30 Jahren sichern kann, bei Privaten anzuwenden. Dafür braucht es Bebauungspläne. Einen solchen gibt es für das Grundstück „Am Winterfeld“ nicht.

Im Baunutzungsplan von 1958/1960, der bei dem geplanten Luxusneubau „Am Winterfeldt“ Anwendung findet, wird nur das Maß der baulichen Nutzung durch die Grundflächenzahl (abgekürzt GRZ) und die Geschossflächenzahl (GFZ) definiert. Leider werden darin keine weiteren Verpflichtungen für den Investor vorgesehen. Dieses Planungsrecht sieht für das geplante Neubauprojekt eine maximale Ausnutzung der Grundflächenzahl von 0,3 und eine Geschossflächenzahl von 1,5 vor. Jedoch möchte der Investor durch sein Bauprojekt eine höhere Ausnutzung erzielen (GRZ 0,55 und GFZ 3,75).

Da eine Nachverdichtung seitens des Bezirksamtes oftmals erwünscht ist, wurde Bauherren immer wieder gestattet, die Festsetzungen im Baunutzungsplan zu überschreiten. Es wurden vom Bezirksamt entsprechende Befreiungen erteilt. Auf diese Befreiungen bezieht sich nun der Investor und pocht auf Gleichbehandlung, die im Baugesetzbuch leider verankert ist.

Dieses Problem, dass durch sorglose Verdichtungen mit einhergehenden Befreiungen der Baunutzungsplan funktionslos wird, war SPD, LINKE und Grünen auf Landesebene bereits 2016 bekannt. Deswegen forderten sie in der Koalitionsvereinbarung die Bezirke auf, den Baunutzungsplan sukzessive durch Bebauungspläne zu ersetzen.

Nur mit Bebauungsplänen kann der Bezirk entsprechende Sozialwohnungen oder weitere Verpflichtungen, die ggf. einen Mehrwert für den Bezirk haben, von einem privaten Investor einfordern. Ein weiteres bezirkliches Instrument wäre gewesen, eine Veränderungssperre nach BauGB § 14 auf das Gebiet zu erlassen, bevor es zum Bauantrag kommt. Diese kann bezirkliche Planungsziele festlegen und ggf. Bauvorhaben verhindern, die nicht dazu passen. Ein positives Beispiel dafür gibt es aktuell in Pankow, wo auf diese Weise die geplanten Hochhausbauten im Thälmann-Park rechtssicher verhindert werden konnten (vgl. leute.tagesspiegel.de/pankow/macher/2021/03/25/163809/bis-2024-kein-wohnungsbau-im-thaelmannpark-investor-unterliegt-vor-gericht/).

Das Bezirksamt in Tempelhof-Schöneberg lehnt nun den geplanten Umfang des Bauprojektes ab. Der Investor klagt gegen die geplante Verringerung der Dichte. Dieses Widerspruchsverfahren bearbeitet derzeit die Obere Bauaufsicht beim Senat.

Wir finden es sehr schade, dass das Bezirksamt die Möglichkeiten der Planrechtschaffung nicht klug genutzt hat. Wir beziehen uns dabei auch auf die Aussagen des Bausenators, Sebastian Scheel, der sich auf Anfrage von Harald Gindra am 24. März 2021 im Stadtentwicklungsausschuss zum Stand des Bauprojektes „Am Winterfeldt“ geäußert hat. (vgl. https://www.dropbox.com/s/6i68t5jrhv95dk7/70.%20Sitzung%20des%20Ausschusses%2 0f%C3%BCr%20Stadtentwicklung%20und%20Wohnen%20am%2024.03.2021.mp4?dl=0

Das Bezirksamt hätte, in Kenntnis, dass dort solche Planungen stattfinden, von den Sicherungsinstrumenten (Aufstellung eines Bebauungsplanes) Gebrauch machen können. Dann hätten auch die Interessen des Landes Berlin besser gewahrt werden können: Schaffung von günstigem Wohnraum, Öffentliche Beteiligung, Verpflichtungen für den Investor, klare Definitionen der Dichte….

Bei diesem großen Bauvorhaben wurde bekanntlich die Öffentlichkeit nicht miteinbezogen. Sie wurde weder über das Ausmaß noch die Details der Planung informiert, obwohl das Verfahren bereits seit letztem Jahr bekannt ist.

Aber wie geht es weiter? Laut Bausenator Scheel gibt es noch eine Reihe von Fragen zu klären. Derzeit wird der Widerspruch durch die Oberste Bauaufsicht überprüft. Der Austausch mit dem Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg und das Verfahren finden bereits seit letztem Jahr statt. Grundsätzlich ist dort, wo das Bauprojekt „Am Winterfeldt“ entstehen soll, Wohnbebauung rechtlich erlaubt, da seitens des Bezirksamtes keine andere Planungsziele festgelegt wurden. Jetzt werden folgende Fragen bei der Obersten Bauaufsicht geklärt: erstens wie sich dieses Bauprojekt in die Umgebung einfügt und zweitens inwiefern die Überschreitung des Maßes des Baunutzungsplans zulässig ist.

Gegebenenfalls muss über eine Abweichung vom Baunutzungsplan entschieden werden. Das sind juristische Verfahren, die sich auf jetzige Rechtsprechungen beziehen. Wir hoffen, dass beispielswiese durch die Genehmigung einer Abweichung nochmals die Forderung nach Sozialwohnungen erhoben werden kann. Das wäre der einzige Mehrwert für den Bezirk. Eine Verringerung der Dichte, wie es das Bezirksamt wünscht, würde das Bauprojekt nicht verhindern oder gar den Charakter des Bauprojektes verändern. Wir schließen uns deswegen der Forderung der Petition an, dass es mehr Sozialwohnungen im Bezirk geben muss.

Für die Zukunft wünschen wir uns, dass alle Ressourcen des Bezirksamtes in den entsprechenden Fachämtern dafür genutzt werden, Sicherungsinstrumente zu nutzen und sie gezielt gegen Luxuswohnungen einzusetzen: B-Pläne aufzustellen, mit Planungszielen, die den Wohnungsbauprämissen des Landes Berlin entsprechen. Wir brauchen keine weiteren Widerspruchsverfahren! Derzeit werden im Bezirk zahlreiche B-Pläne im Gewerbebereich aufgestellt. Der Fokus muss sich wieder ändern und endlich die Forderung im Koalitionsvertrag nach der Änderung des funktionslosen Baunutzungsplans aus dem Jahr 1958/1960 umgesetzt werden. Wir hoffen sehr, dass es noch die Möglichkeit gibt, bei dem juristischen Verfahren einen Mehrwert für die Menschen aus dem Bezirk zu bekommen. Dafür spricht sich auch Bausenator Scheel aus.

Im letzten Newsletter wurden die Erfolge der Wohnungspolitik der LINKEN in Abrede gestellt. Dem halten wir entgegen: In Berlin sinken die Angebotsmieten. Mieterorganisationen sehen das als Erfolg des Berliner Mietendeckels und einer insgesamt aktiven linken Wohnungspolitik. (https://www.berlin.de/rbmskzl/aktuelles/pressemitteilungen/2021/pressemitteilung.1070624.php) Zahlreiche Mieterinnen und Mieter in Berlin profitieren von der Entlastung. Jetzt geht es darum, auch auf Bundesebene die Weichen neu zu stellen.

 

Bei weiteren Rückfragen sind wir erreichbar unter: kontakt@linksfraktion-ts.de

Dr. Christine Scherzinger, stadtpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE Tempelhof-Schöneberg, und Elisabeth Wissel, Fraktionsvorsitzende der Fraktion DIE LINKE Tempelhof-Schöneberg