Koloniales Tempelhof-Schöneberg: Erinnerungskultur etablieren und koloniales Erbe im Stadtraum sichtbar machen

Antrag: BV Elisabeth Wissel, BV Dr. Christine Scherzinger, Fraktion DIE LINKE.

Die Bezirksverordnetenversammlung möge beschließen:

Das Bezirksamt wird ersucht, gemeinsam mit Initiativen und den zuständigen Stellen, und unter Einbeziehung von Anwohner_innen, Schulklassen etc., einen Diskussions- und Entwicklungsprozess zur Erstellung eines Konzepts für eine dauerhafte Erinnerungskultur zur kolonialen Geschichte im Bezirk Tempelhof-Schöneberg in die Wege zu leiten, und dessen Ergebnisse zeitnah umzusetzen.

Ziel: Im öffentlichen Raum zum kritischen Nachdenken über deutsche Kolonialvergangenheit und Kolonialverbrechen anregen, zum Beispiel in Form von Erinnerungsorten, Denkmälern bzw. Lerntafeln etc. Des Weiteren gilt es, Straßennamen und bereits existierende Denkmäler auf ihre kolonialen Bezüge zu überprüfen und diese ggf. umzubenennen.

 

Begründung:

In Tempelhof-Schöneberg – wie auch in ganz Berlin – gibt es kaum Orte, Denkmäler bzw. Kunstwerke im öffentlichen Raum, die dauerhaft an die koloniale Vergangenheit erinnern und darüber informieren. Die Aufarbeitung ist bislang im gesamten Berliner Stadtraum kaum vollzogen worden. Initiativen, die Berlins Kolonialgeschichte aufarbeiten und deren Sichtbarmachung fordern, wurden bislang nicht in einer bezirklichen Erinnerungskultur berücksichtigt.

 

In Tempelhof-Schöneberg sind zahlreiche Spuren des kolonialen Erbes zu finden. Es gibt Gebäude, Orte und Straßennamen, die explizite bzw. implizite Bezüge zur deutschen Kolonialgeschichte aufweisen, ohne dass diese öffentlich vor Ort thematisiert werden. Darunter zählen im Bezirk Tempelhof-Schöneberg u.a.: die Fuggerstraße; die Welserstraße[1]; das Amtsgericht in der Martin-Luther-Str. 97 als ehemalige „Deutsche Gesellschaft für Eingeborenenkunde“[2]; die „Botanische Zentralstelle für deutsche Kolonien“ (jetziges „Haus am Kleistpark“)[3]; die Rubenstraße in Friedenau, in der 1907 die Deutsche Marine-, Armee- und Kolonialausstellung stattfand; die Tempelhofer Marienhöhe (Drehort: UFA-Film „Die Reiter von Ost-Afrika“)[4]; der Simpsonweg in Lichtenrade[5]; die Kolonie Samoa (Priesterweg, Name einer Kleingartenkolonie), Burenland e.V. (Kleingärtnerverein in Schöneberg)[6]; der Kaiserkorso; Potsdamer Str. 125 (ehemals der Sitz des Frauenbund der Deutschen Kolonialgesellschaft: FDKG)[7]; ein Denkmal in der Karl-Schrader-Straße 7/8 (Tempelhof-Schöneberg) zu Ehren von Hedwig Heyl (Vorsitzende des Frauenbundes der Deutschen Kolonialgesellschaft, die gegen die Mischehen zwischen Deutschen und Einheimischen in Kolonien kämpfte) etc.

Die Ausstellung „Forschungswerkstatt: Kolonialgeschichte in Tempelhof und Schöneberg“ im Jugendmuseum, die im Mai 2017 beginnt, könnte einen Anlass bieten, den oben genannten Entwicklungsprozess zu beginnen. Die im Rahmen der Ausstellung geführten Diskussionen und gesammelten Informationen könnten – über die temporäre Auseinandersetzung hinaus – als Beginn einer längerfristigen Entwicklung partizipativer Erinnerungskultur genutzt werden. Der Bezirk Schöneberg-Tempelhof könnte damit eine Signalwirkung auch für andere Bezirke bewirken, und deutlich machen, dass er sich seiner Vergangenheit und Verantwortung bewusst wird. Es wäre auch ein Signal, sich stärker als bisher für heutige Realitäten der Migration zu öffnen und eine Diskussionskultur zu schaffen, die auch heutige postkoloniale Abhängigkeiten und alltäglichen Rassismus thematisiert und entsprechend darauf reagiert.

Berlin, den 24.04.2018

BV Elisabeth Wissel, BV Dr. Christine Scherzinger, Linksfraktion

 


[1]fuggerandwelserstreetdecolonized.wordpress.com

[2] Berlin Postkolonial (2017): (http://www.berlin-postkolonial.de/cms/index.php/orte3/20-orte/tempelhof-schoeneberg/38-martin-luther-strasse-97, Zugriff: 28.4.2017).

[3] Zepernick, B. (2002): Die Botanische Zentralstelle für die deutschen Kolonien. In: Heyden, U.; Zeller, J:  Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche. S. 107-111.

[4] Museum Tempelhof-Schöneberg (2016):Presseinformation. (http://www.museentempelhof-schoeneberg.de/r_pdf/PM_MuseenTS_squat_monument.pdf, Zugriff: 25.4.2017).

[5] Tanzania Network (2008): Kolonialistische Straßennamen.(http://www.tanzania-network.de/upload/PDF/2008_11_13_dossier_kolonialistische_strassennamen.pdf, Zugriff: 25.4.2017)

[6] Bezirksverband Kleingärtner in Schöneberg e.V. (2017): Die Kolonien des Bezirksverbandes. (http://www.bdk-schoeneberg.de/uebersicht.html, Zugriff: 4.5.2017).

[7] Nägele, S. & Markert, J. (2011): Die Potsdamer Straße. 2. Aufl. Berlin.