Wann kommt die Zeit, energisch gegen Wohnungsleerstand vorzugehen?
Wir fragen das Bezirksamt:
1. Wie beurteilt das Bezirksamt grundsätzlich Leerstand von Wohnraum?
Zu 1.) Der Leerstand von Wohnraum ist ein Übel, dem entschlossen begegnet werden muss. Lange Zeit standen in der medialen Diskussion über das Zweckentfremdungsverbot die Ferienwohnungen im Mittelpunkt. In der Praxis der Zweckentfremdungsstelle stehen jedoch bereits seit langer Zeit leerstehende Wohnungen im Mittelpunkt. Der Umfang der leerstehenden Wohnungen übertrifft die Zahl der Ferienwohnungen deutlich.
Die Gründe für einen Leerstand sind vielfältig. Es gibt Fälle, in denen die jeweiligen Eigentümer wegen einer Überforderung oder wegen eines mangelnden Interesses Wohnungen leer stehen lassen. Obwohl medial häufig von einem „spekulativen Leerstand“ die Rede ist, kommt dies in der Praxis der Zweckentfremdungsstelle in Relation gesehen selten vor. Ein häufiger Grund für einen Leerstand ist die Sanierung von Wohnungen und Gebäuden. Hier muss der jeweilige Einzelfall betrachtet werden. Eine Umfangreiche Sanierung eines Gebäudes stellt für den Bauherrn eine Herausforderung dar. Es gilt, eine Planung zu entwickeln, die bau- und planungsrechtlich, ggf. auch erhaltungs- und denkmalschutzrechtlich, genehmigungsfähig und zudem auch finanzierbar ist. Dies erfordert eine längere Dauer und ist in der Regel nicht in kurzer Zeit zu erledigen. Der Leerstand von Wohnungen ist daher in bestimmten Sachverhalten leider nicht zu verhindern. Das Bezirksamt muss daher in jedem Einzelfall betrachten, ob ein Leerstand gerechtfertigt ist.
Die Zweckentfremdungsstelle ist bei der Rückführung von Wohnungen in den Wohnungsmarkt sehr erfolgreich, wie aus der Statistik der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen ersichtlich ist:
Bezirk | Tempelhof- Schöneberg | Friedrichshain-Kreuzberg | Charlottenburg-Wilmersdorf | Mitte | Pankow | Neukölln | Treptow-Köpenick | Steglitz- Zehlendorf | Spandau | Lichtenberg | Reinickendorf | Marzahn- Hellersdorf | Berlin |
Wiederzugeführte Wohnungen | 6.179 | 4.920 | 3.705 | 3.146 | 2.247 | 2.077 | 1.767 | 1.377 | 1.292 | 954 | 775 | 513 | 28.986 |
Davon Ferienwohnungen | 1.274 | 1.967 | 876 | 1.374 | 919 | 451 | 237 | 161 | 217 | 70 | 186 | 31 | 7.766 |
Quelle: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, Stand: 31.12.2024
Die Zweckentfremdungsstelle des Fachbereichs Wohnen hat seit dem Bestehen des Zweckentfremdungsverbots insgesamt 6.179 Wohnungen, die zuvor zweckfremd genutzt wurden, in den Wohnungsmarkt zurückgeführt. Davon sind 1.274 Wohnungen zuvor als Ferienwohnungen genutzt worden. Die restlichen 4.905 Wohnungen entfallen auf gewerbliche Nutzungen und Leerstände, wobei die gewerblichen Nutzungen eher seltener sind.
Die Zweckentfremdungsstelle Tempelhof-Schöneberg konnte bedeutend mehr Wohnungen in den Wohnungsmarkt zurückführen, als es die anderen Bezirksämter vermochten, was untermauert, welche Bedeutung dieser Aufgabe beigemessen wird. 21,32 % aller in Berlin zurückgeführten Wohnungen lagen in Tempelhof-Schöneberg, also mehr als jede 5. zurückgeführte Wohnung. Der durchaus vergleichbare Nachbarbezirk Neukölln hat lediglich ein Drittel der in Tempelhof-Schöneberg zurückgeführten Wohnungen rückführen können, was der Erfahrung und auch dem Engagement der im Wohnungsamt unseres Bezirks mit Herzblut tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu verdanken ist.
Festzuhalten ist somit: Die Zweckentfremdungsstelle ist sehr erfolgreich tätig und begegnet dem Wohnungsleerstand nachdrücklich.
2. Welche Pläne verfolgt das Bezirksamt um gegen den jahrzehntelangen Leerstand des Hauses Odenwald- / Ecke Stubenrauchstraße vorzugehen?
Zu 2.) Die Einsetzung eines Treuhänders ist sowohl im Zweckentfremdungsverbot-Gesetz als auch im Wohnungsaufsichtsgesetz geregelt. Ein Treuhänder kann daher von der Zweckentfremdungsstelle oder von der Wohnungsaufsicht eingesetzt werden. Das Bezirksamt hat sich dabei der Auffassung des Senats angeschlossen, wonach in den Fällen, in denen eine Wiederherstellung des Wohnraums notwendig ist, vorzugsweise eine Treuhändereinsetzung durch die Wohnungsaufsicht erfolgen sollte.
Der Senat hat sich hierzu wie folgt geäußert: „Die beiden Gesetze, und dementsprechend auch die beiden Ermächtigungsnormen zum Einsatz von Treuhändern stehen gleichwertig nebeneinander. Die zuständige Behörde kann sich deshalb aussuchen, auf welcher Rechtsgrundlage sie einen Treuhänder einsetzen möchte. Aus praktischen Überlegungen heraus wäre es von Vorteil, in Wiederherstellungsfällen das Wohnungsaufsichtsgesetz heranzuziehen, weil den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Zweckentfremdungsbereichs hierfür in der Regel das technische Wissen fehlt und deshalb der Bereich der Wohnungsaufsicht gleichwohl in den Gesamtentscheidungsprozess einbezogen werden müsste.“
Dementsprechend wurde eine Instandsetzungsaufforderung, die mit der Androhung des Zwangsmittels der Einsetzung eines Treuhänders verbunden wurde, durch die Wohnungsaufsicht erlassen.
Zuarbeit StadtFM:
Das Bezirksamt beabsichtigt zunächst die Instandsetzungsanordnung vom 20.04.2023 mit Zwangsmitteln durchzusetzen, vorzugsweise durch Einsetzung eines Treuhänders.
3. Wie beurteilt das Bezirksamt, dass der Senator für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen u.a. unserem Bezirksamt eine „Blockadehaltung“ bei der Einsetzung von Treuhändern zur Sanierung der Wohnungen vorwirft ("Eine Verwaltung muss Gesetze umsetzen und kann sich nicht aussuchen, ob sie es machen will oder nicht." – Senator Gäbler laut rbb24-Beitrag vom 10.05.25, 11:35 Uhr)?
Zuarbeit StadtFM:
Zu 3.) Der Bericht ist veraltet und bezieht sich laut Auskunft der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen auf eine Äußerung, die Herr Senator Gäbler im Februar dieses Jahres getätigt haben soll. Allerdings war sie auch damals unzutreffend. Das Bezirksamt hat zu keinem Zeitpunkt eine Blockadehaltung bei der Einsetzung eines Treuhänders eingenommen. Im Gegenteil: Das Stadtentwicklungsamt hat eine Instandsetzungsanordnung erlassen und bereits damals die Einsetzung eines Treuhänders angedroht. Nachdem die Frist zur Instandsetzung ergebnislos verstrich, hat das Bezirksamt gemeinsam mit der Senatsverwaltung einen potentiellen Treuhänder bestimmt und den Entwurf für einen Treuhändervertrag erarbeitet. Dieser Entwurf wurde anschließend mit dem designierten Treuhänder erörtert. Dabei ergab sich jedoch ein gravierendes rechtliches Problem. Dieses Problem betrifft die rechtliche Stellung des Treuhänders. Konkret geht es um die Frage, ob der Treuhänder im eigenen Namen und auf eigene oder fremde Rechnung die notwendigen Bauleistungen beauftragt; im Gegenzug steht ihm nach § 9b Abs. 4 WoAufG Bln ein Kostenerstattungs- sowie ein Vorschussanspruch gegen das Bezirksamt zu. Oder ob der Treuhänder als gesetzlicher Vertreter für den Eigentümer also in fremdem Namen tätig wird. Diese Frage hat weitreichende Konsequenzen. Der designierte Treuhänder ließ sich dahingehend ein, vorzugswürdig als Vertreter und nicht in eigenem Namen tätig werden zu wollen; das entspräche auch der üblichen Praxis. Dies hat das Bezirksamt der Senatsverwaltung bereits am 23.08.2024 dargelegt. In einer Stellungnahme vom 01.04.2025 hat die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen nun die Rechtsauffassung vertreten, dass der Treuhänder im eigenen Namen aber auf fremde Rechnung tätig werde. Darüber hinaus wurde von der Senatsverwaltung für Finanzen erstmals am 06.05.2025 – erst nach der Berichterstattung durch den rbb – nun auch schriftlich eine Zusage erteilt, dass Ausgaben im Zusammenhang mit dem Einsatz eines Treuhänders im Rahmen der Basiskorrektur beantragt werden können. Es wird aber zugleich darauf hingewiesen, dass die im Rahmen der Basiskorrektur geltend gemachten Ausgaben von den Bezirken im Rahmen der Vollstreckung vom Eigentümer zurückzufordern bzw. beizutreiben sind. Genau darin liegt aber das Problem. Denn sollte es sich entgegen der Auffassung der Senatsverwaltung doch um einen Fall der gesetzlichen Stellvertretung handeln, wäre der Werkvertrag mit den bauausführenden Unternehmen nicht zwischen dem Treuhänder und den Unternehmen, sondern stattdessen zwischen den Unternehmen und dem Eigentümer abzuschließen. Dann gäbe es auch keinen Rechtsgrund für den Treuhänder, den Werklohn zu zahlen, denn er ist nicht Vertragspartei. Es bestände auch kein Erstattungsanspruch des Treuhänders gegen das Bezirksamt. Unter diesen Umständen wird sich absehbar keine Baufirma vertraglich binden lassen. Denn der Baufirma ist es nicht zuzumuten, das Insolvenzrisiko des ohnehin uneinsichtigen Eigentümers zu tragen. Würde gleichwohl der Treuhänder den Werklohn zahlen und das Bezirksamt dem Treuhänder diese Kosten erstatten, geschähe dies ohne Rechtsgrund. Der gesetzlich in § 9b Abs. 4 WoAufG Bln geregelte Regressanspruch des Bezirksamtes gegen den Eigentümer – wie er auch von der Senatsfinanzverwaltung eingefordert wird – liefe dann voraussichtlich ins Leere. Es bestünde somit die Gefahr, dass das Land Berlin mit ganz erheblichem finanziellen Aufwand die Instandsetzung des Hauses betreibt, ohne anschließend den Eigentümer rechtssicher in Regress nehmen zu können.
4. Wieso mag sich das Amt nicht folgender Haltung des Senators anschließen, obwohl es weitgehende Zusagen zur Risikoübernahme gab ("Es soll schon das Zeichen ausgehen, dass der Staat sich nicht von Eigentümern an der Nase herumführen lässt. Mit den Pilotprojekten wolle man Sicherheit gewinnen, auch für mögliche spätere juristische Auseinandersetzungen" – Quelle, wie 3.)?
Zuarbeit StadtFM:
Zu 4.) Die von der Senatsverwaltung mitgeteilte Rechtsauffassung vermag nicht vollständig zu überzeugen. Bei der Stellungnahme handelt es sich im Kern um die Übersendung eines Auszugs aus einer Kommentierung zu
§ 164 BGB. Danach ist der Treuhänder in der Regel ein Fall der sogenannten mittelbaren Stellvertretung. Er handelt im eigenen Namen, wird dabei aber im Interesse und für Rechnung eines anderen – dem Treugeber - tätig. Das mag in der Regel so sein. Die Frage ist aber, ob dies auch im vorliegenden Fall so ist. Denn es gibt für den Treuhänder keine gesetzliche Definition. Deshalb kommt es darauf an, wie der Treuhänder im Einzelfall gesetzlich ausgestaltet wird. In ihrer Stellungnahme setzt sich die Senatsverwaltung aber nicht mit dem Wortlaut des § 9b Abs. 3 WoAufG Bln auseinander. Darin ist zwar von einem „Treuhänder“ die Rede. Zugleich wird aber gesetzlich angeordnet, dass er das Recht und die Pflicht hat, das Grundstück zu verwalten und alle weiteren zur Erfüllung seiner Aufgabe erforderlichen Rechtshandlungen und Rechtsgeschäfte mit Wirkung für und gegen den Verfügungsberechtigten – das ist der Eigentümer - vorzunehmen und abzuschließen. Damit beschreibt der Gesetzeswortlaut aber gerade die Situation einer Stellvertretung. Denn Inhalt einer Stellvertretung ist es, Rechtsgeschäft mit Wirkung für und gegen einen Dritten abzuschließen. Erschwerend kommt hinzu, dass § 9b Abs. 5 WoAufG Bln auf § 16 Abs. 3 Satz 2 und 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes verweist, mithin eine Vorschrift, die gerade die Bestellung eines Vertreters von Amts wegen regelt. Aus Sicht des Stadtentwicklungsamtes ist die Regelung zum Treuhänder deshalb zumindest missglückt, wenn eigentlich eine mittelbare Stellvertretung geregelt werden sollte. Eine Auffassung, die auch vom bezirklichen Rechtsamt geteilt wird. Das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg und das Bezirksamt Mitte haben deshalb der Senatsverwaltung konkrete Vorschläge zur Klarstellung der Norm unterbreitet. Die Einsetzung eines Treuhänders nach derzeitigem Recht kommt deshalb nur dann in Betracht, wenn die Senatsverwaltung den Bezirk auch dann von den hierdurch entstehenden Kosten freistellt, wenn der Regress bei dem Eigentümer misslingen sollte. Eine diesbezügliche Bestätigung steht jedoch aus.
5. Welche Maßnahmen ergreift das Bezirksamt, um den Leerstand in den Häusern Potsdamer Straße 163 und 165 / Ecke Goebenstraße zu beenden?
Zu 5.) Das übliche zweckentfremdungsrechtliche Mittel ist die Anordnung der Wiederherstellung der Räumlichkeiten zum Wohnen und die anschließende Rückführung in den Wohnungsmarkt. Die Anordnung wird mit der Androhung von Zwangsgeld verbunden für den Fall, dass ihr nicht nachgekommen wird. Auf ein solches Vorgehen wird jedoch verzichtet, wenn sich ein Bauprojekt in der Entwicklung befindet. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein Bauprojekt mit einem Umfang, wie es beim angefragten Objekt der Fall ist, nicht kurzfristig entwickelt werden kann. Der Bauherr muss seine Planungen mit diversen Behörden (Baurecht, Planungsrecht, Erhaltungsrecht, Zweckentfremdungsrecht) abstimmen und dabei die Finanzierung des Projekts im Blick haben.
Der Bauherr steht mit dem Stadtentwicklungsamt in engem Kontakt; ein städtebaulicher Vertrag wurde bereits unterzeichnet. Zweckentfremdungsrechtlich gilt der städtebauliche Vertrag nach § 3 Abs. 6 Nr. 4 der Zweckentfremdungsverbot-Verordnung (ZwVbVO) als Ersatzgenehmigung, so dass die Erteilung einer zweckentfremdungsrechtlichen Abrissgenehmigung nicht notwendig ist.
6. Welche Maßnahmen ergreift das Bezirksamt, um den Leerstand in den Häusern Ansbacher Straße 33 / 35 zu beenden?
7. Welche Voraussetzungen müssen vorliegen, um bei dem umfangreichen Leerstand in dem Neubauprojekt „Am Winterfeldt“ (Gleditsch- / Pallas- / Elßholzstraße) ein Zweckentfremdungsverfahren einzuleiten?
Zu 7.) Ein zweckentfremdungsrechtliches Verfahren wird nur eingeleitet, wenn der Verdacht einer Zweckentfremdung von Wohnraum vorliegt. Die Voraussetzungen dafür sind gesetzlich im Zweckentfremdungsverbot-Gesetz (ZwVbG) geregelt. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 des ZwVbG liegt eine Zweckentfremdung vor, wenn Wohnraum länger als drei Monate leer steht. Dabei ist zu beachten, dass neu erstellter Wohnraum erst unter den Schutz des ZwVbG fällt, wenn er bezugsfertig ist. Eine Bezugsfertigkeit liegt erst vor, wenn der Bauherr den Bauabschluss mitteilt und eine Nutzungsaufnahme anzeigt. Erst dann beginnt die Frist nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 ZwVbG an zu laufen.
Im Falle dieses Neubauprojekts ist ein Bauabschluss noch nicht erfolgt. Es finden noch Arbeiten in den Gebäuden statt, so dass eine Nutzungsaufnahme noch nicht angezeigt werden konnte. Eine Zweckentfremdung liegt somit nicht vor.
8. Zu welchen weiteren Adressen liegen dem Bezirksamt Informationen über Wohnungsleerstand vor (bitte jeweils die Anzahl der Wohnungen nennen)?
Zu 8.) Aus datenschutzrechtlichen Gründen können die Adressen, zu denen dem Bezirksamt Informationen über Wohnungsleerstand vorliegen, nicht in der öffentlichen Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung mitgeteilt werden. Es kann jedoch summarisch mitgeteilt werden, dass insgesamt zu 300 bis 350 Wohnungen Informationen über Leerstand vorliegen, denen jeweils individuell nachgegangen wird.
1594/XXI - Große Anfrage - Wann kommt die Zeit, energisch gegen Wohnungsleerstand vorzugehen?
Dateien
- 2025.05.21-ANTWORT_GA_DIE_LINKE_Wohnungsleerstand_Versand.pdf
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