Kyffhäuserstr. 11: Zwangsräumung von 71-jähriger Mieterin verhindern
Antrag, BV Dr. Scherzinger, Fraktion DIE LINKE.
Die Bezirksverordnetenversammlung möge beschließen:
Die BVV ersucht das Bezirksamt, die rechtswidrige erhaltungsrechtliche Genehmigung gem. § 173 BauGB zur Nutzungsänderung in der Wohnung Kyffhäuserstr. 11, 10781 Berlin, 3. OG links vom 26.3.2019 (EE 51/19) gem. § 48 Abs. 1, 2 S. 3 VwVfG mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen und die weitere Nutzung der Wohnung Kyffhäuserstr. 11, 10781 Berlin, 3. OG links als Gewerbefläche gem. §§ 58 Abs. 1, 80 BauO Berlin mit einer Frist von höchstens zwei Wochen zu untersagen.
Begründung:
Seit 36 Jahren lebt eine 71-jährige, alleinstehende Frau in ihrer Wohnung im 3. OG in dem Wohnhaus Kyffhäuserstr. 11 in Berlin-Schöneberg. Neben dieser Wohnung gehört ihrem Vermieter außerdem die 180qm große Nachbarwohnung, in der er, seit dem 1.1.2007 sein Gewerbe mit sechs Angestellten unter Verstoß gegen das Baurecht betreibt, denn er hat nie eine Nutzungsänderung beantragt. Nun hat der Vermieter und Gewerbetreibende seiner Mieterin, die sich in über 36 Jahren Mietzeit stets vertragstreu verhalten hat, unter Verweis auf Eigenbedarf gekündigt und will sie zwangsräumen lassen. Gegen die stattgebende Entscheidung des Amtsgerichts ist derzeit die Berufung beim Landgericht Berlin anhängig. Nach der Rechtsprechung des BGH ist eine Eigenbedarfskündigung rechtsmissbräuchlich und unwirksam, wenn dem Vermieter eine gleichwertige Alternative im gleichen Gebäude zur Verfügung steht (BGH v. 23. August 2016 – VIII ZR 178/15, Rn.17). Diese Alternative besteht in der zweckentfremdeten 180qm-Wohnung. Dort könnte ihr Vermieter wohnen, wenn er mit seinem Büro in eine Gewerbeimmobilie umzieht.
Am 26.3.2019 hat das BA dem Vermieter und Gewerbetreibenden jedoch eine erhaltungsrechtliche Ausnahme erteilt, obwohl klar war, dass dies gegen Punkt 3.2 der Prüfkriterien des Bezirks verstößt. Das BA behauptet heute, es komme auf die Genehmigung nicht an. Dies ist nach juristischer Einschätzung falsch. Da das Gewerbe in der Wohnung bis heute baurechtswidrig (da ohne Baugenehmigung und damit unter Verstoß gegen § 59 BauO) betrieben wird, kann dem Gewerbetreibenden kein Bestands- oder Vertrauensschutz zukommen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26. April 2017, Az. OVG 2 S 51.16). Um die gewerbliche Nutzung heute zu legalisieren, muss der Gewerbetreibende einen Antrag gem. § 59 BauO stellen. Über diesen Antrag wäre nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, also Stand heute, zu entscheiden. Danach verstößt die Nutzung von Wohnraum für gewerbliche Zwecke gegen die Erhaltungsverordnung und das Zweckentfremdungsverbotsgesetz und ist daher nicht genehmigungsfähig. Dies wäre nur dann anders, wenn der Gewerbetreibende vor Inkrafttreten der Erhaltungsverordnung und des Zweckentfremdungsverbotsgesetzes ordnungsgemäß die Nutzungsänderung gem. § 59 BauO beantragt hätte. Die Behauptung des BA, dass aus einer jahrelangen rechtswidrigen Nutzung so etwas wie eine Bestandsgarantie für den Vermieter und Gewerbetreibenden erwachsen könnte, ist ebenfalls nach juristischer Auffassung schlicht fernliegend.
Die erhaltungsrechtliche Ausnahme wurde am 26.3.2019 unter Verstoß gegen Pkt. 3.2 der im ABl. Nr. 38/2014 veröffentlichten Prüfkriterien des Bezirks rechtswidrig erteilt. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Vermieter die Eigenbedarfskündigung bereits ausgesprochen, dies war dem BA bekannt. Im Rahmen der Antragstellung hat der Vermieter zudem ggü. dem BA angegeben, in der gewerblich genutzten Wohnung teilweise auch zu wohnen. Dies ist unwahr, wie sich aus den Aussagen, die seine eigenen Mitarbeiter im Räumungsprozess vor dem Amtsgericht Schöneberg gemacht haben, eindeutig ergibt.
Eine formell baurechtswidrige Nutzung soll im Regelfall binnen kurzer Frist (1 Woche) untersagt werden (OVG Bln.-Brb., Beschl. vom 18. Oktober 2018, Az. OVG 2 S 39.18, Rn. 9). Dies ist auch hier angezeigt. Gleichzeitig ist die rechtswidrig erteilte Ausnahme zurückzunehmen. In diesem Fall muss der Vermieter mit seinem Gewerbe in eine geeigneteGewerbeimmobilie umziehen. In der Folge steht ihm mit der dann freigewordenen 180qm Wohnung eine geeignete Alternativwohnung zur Verfügung, die er ihrem Zweck entsprechend bewohnen kann. Seine Eigenbedarfskündigung ist dann unwirksam und die 71-jährige, langjährige Mieterin kann in ihrer Wohnung und in ihrem gewohnten, angestammten Umfeld verbleiben und wird nicht inmitten einer Pandemie und nach 36 Jahren Vertragstreue auf die Straße geworfen.
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