Arbeit der Unterhaltsvorschussstelle im Bezirk

Kleine Anfrage, BV Martin Rutsch (LINKE)

 

Sehr geehrter Herr Böltes,

die o.g. Kleine Anfrage beantworte ich für das Bezirksamt wie folgt:

 

1.

Frage

Welche quantitativen Kriterien liegen im bezirklichen Jugendamt der

Entscheidung zum Anspruch auf Unterhaltsvorschuss bei Alleinerziehenden zu

Grunde und ab wann?

 

Antwort

Der Anspruch auf Unterhaltsvorschuss wird im Rahmen der Vorgaben des Gesetzes zur Sicherung des Unterhalts von Kindern alleinstehender Mütter und Väter durch Unterhaltsvorschüsse oder -ausfallleistungen (Unterhaltsvorschussgesetz) und auf der Grundlage der aktuellen Rechtsprechung geprüft.

Das aus 1980 stammende UVG wurde vielfach abgeändert, letztmalig zum 01.07.2017.

Seit 1980 nahezu unverändert hat Anspruch auf Unterhaltsvorschuss, wer

  1. das 12. Lebensjahr noch nicht vollendet hat (seit 01.01.1993)
  2. bei einem seiner Elternteile lebt (seit 01.01.1980)
  3. der Elternteil alleinerziehend ist (seit 01.01.1980)
  4. der Elternteil ledig, verwitwet, geschieden oder dauernd getrennt lebend ist (seit 01.01.1980) und
  5. keinen (regelmäßigen) Unterhalt vom anderen Elternteil erhält oder Halbwaisenrente unter dem Unterhaltsvorschuss (seit 01.01.1980).

Das in § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG enthaltene Erfordernis eines inländischen Wohnsitzes ist im Hinblick auf den Vorrang der in Art. 7 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1612/68 und Art. 45 Abs. 2 AEUV gewährleisteten Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht anzuwenden, wenn der alleinerziehende Elternteil in der Bundesrepublik Deutschland als Arbeitnehmer mehr als nur geringfügig beschäftigt ist und mit dem Kind in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union wohnt. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 18.12.2017 entschieden und wird von der bezirklichen Unterhaltsvorschussstelle seit 01.01.2018 berücksichtigt.

Die Befristung von 72 Anspruchsmonaten wurde ab 01.07.2017 gestrichen.

Seit dem 01.07.2017 hat ein Kind auch nach Vollendung des 12. Lebensjahres bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres einen Anspruch, wenn

  1. das Kind nicht auf Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) angewiesen ist oder
  2. durch den Unterhaltsvorschuss die Hilfebedürftigkeit des Kindes nach § 9 SGB II vermieden werden kann oder
  3. der alleinerziehende Elternteil im SGB II-Bezug ein eigenes Bruttoeinkommen von mindestens 600 Euro monatlich erzielt.

Hierfür wird zur Prüfung der Jobcenter-Bescheid aus dem Antragsmonat benötigt. Bei Kindern ab Vollendung des 15. Lebensjahres wird weitergehend eine Schulbescheinigung notwendig. Sofern diese nicht mehr vorgelegt werden kann, sind die anrechenbaren Einkünfte des Kindes zu ermitteln.

Alle Kriterien werden bereits im Antragsformular des Landes Berlin auf Unterhaltsvorschuss abgefragt.

2.

Frage

Ist es zulässig, ein Gerichtsurteil für einen konkreten Einzelfall (VG Berlin vom

27. September 2016 (21 K 111.16)) auf andere Fälle anzuwenden, ohne dass

eine höchstrichterliche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes zu

vergleichbaren Fallkonstruktionen vorliegt?

 

Antwort

Das Gerichtsurteil ist bekannt, da unter den 12 Unterhaltsstellen des Landes Berlin mit SenBFJ ein regelmäßiger Informationsaustausch stattfindet und es in der Richtlinienänderung zum 01.07.2017 durch das BMFSFJ falsch interpretiert wurde.

Ein Urteil oder Beschluss des VG Berlin wird in der Entscheidung über die Anspruchsvoraussetzungen berücksichtigt, wenn die Entscheidungsgründe allgemeingültig anzuwenden sind und nicht den Richtlinien des BMFSFJ entgegen sprechen, da davon auszugehen ist, das in einem ähnlichen Fall bei Klageerhebung die Entscheidung entsprechend ausfallen wird.

Im vorliegenden Urteil wurde festgestellt, dass im dargelegten Fall der familienferne Elternteil weniger als 30 % der Betreuungsleistung übernimmt und der Elternteil, bei dem das Kind lebt, somit als alleinerziehend gilt. Das Urteil entspricht damit den aktuellen Richtlinien des BMFSFJ (seit 01.01.2018) und muss bei Entscheidungen, die die Unterhaltsvorschussstelle im Einzelfall zu treffen hat, nicht zitiert werden.

3.

Frage

Wie genau erfolgt die Prüfung der qualitativen Kriterien im Einzelfall, bei

welchem Elternteil der Lebensmittelpunkt des Kindes und somit die

überwiegende Erziehungsverantwortung und Befriedigung der elementaren

Lebensbedürfnisse liegt?

 

Antwort

Die Prüfung erfolgt allein anhand der Aussage beider Elternteile. Im Antragsformular hat der alleinerziehende Elternteil unter Punkt 6 die Betreuungszeiten des anderen Elternteils anzugeben. Diese Erklärung wird durch Unterschrift am Ende bestätigt.

Durch schriftliche Inverzugsetzung des anderen Elternteils wird diesem die Möglichkeit gegeben, sich zweimal sowohl zur Antragstellung als auch ggf. zur Bewilligung zu äußern.

Sollte der familienferne Elternteil erklären, dass er oder sie das Kind zu gleichen Teilen oder mindestens 33% betreut, wird beiden Elternteilen mehrfach die Möglichkeit gegeben, Ihre Aussagen zu revidieren oder durch Belege zu untermauern. Sofern ein Beschluss des Familiengerichts oder eine vertragliche Vereinbarung über die Betreuungszeiten und –leistungen vorliegt, werden diese als Basis herangezogen.

Sollte nach mehrfacher Befragung der Elternteile Aussage gegen Aussage stehen, wird der Unterhaltsvorschuss abgelehnt bzw. eingestellt und ggf. zurückgefordert, da die Alleinerziehung durch die Unterhaltsvorschussstelle nicht zweifelsfrei festgestellt werden kann (Rili 1.3.1.).

Es kann auch zu einer Überprüfung der Alleinerziehung im Rahmen der jährlichen Selbstauskunft oder der Einkommensabfrage des anderen Elternteils kommen, so dass bei Änderung eine bereits gefällte Entscheidung aufgehoben werden kann.

4.

Frage

Wie werden die faktische Betreuungsintensität und andere Aspekte (z.B. Geldgaben) bei der Einzelfallprüfung berücksichtigt?

 

Antwort

Sofern der familienferne Elternteil angibt, dass er oder sie das Kind zwar nur zu 35 % betreut, aber mit dem Kind Arztbesuche und Freizeitaktivitäten tätigt sowie bei den Hausaufgaben unterstützt oder Elternabende besucht und dies auch von den jeweiligen Institutionen bescheinigt wird, wird diese Art der Betreuung in der Einzelfallprüfung als gleichwertiges Wechselmodell gewertet. Das gleiche gilt auch, wenn der andere Elternteil finanziell elementare Bedürfnisse wie Nahrung, Kleidung u.ä. des Kindes deckt, das über das Maß der Umgangsregelung hinausgeht.

Wird angegeben, dass das Kind im Wechselmodell betreut wird, findet keine weitere Prüfung statt (Rili 1.3.1.).

5.

Frage

Wie wird somit die Richtlinie zur Durchführung des Unterhaltsvorschuss-

gesetzes beachtet?

 

Antwort

Die Richtlinie wird wie oben ausgeführt bei der Durchführung des Gesetzes beachtet (s.o.).

6.

Frage

Welchen Inhalt hat die Anpassung der Richtlinien zur Durchführung des

Unterhaltsvorschussgesetzes vom 1. Januar 2018 im Vergleich zur Richtlinie

des zuständigen Bundesministeriums vom 16. Juli 2015?

 

Antwort

Die Frage kann in ihrer Komplexität so nicht beantwortet werden, da zum 01.07.2017 eine Gesetzeserweiterung stattgefunden hat, die vollständig in den Richtlinien berücksichtigt werden musste. Bitte präzisieren Sie die Frage, um eine zufriedenstellende Antwort zu erhalten.

Es erfolgte zwischen dem 16.07.2015 und dem 01.01.2018 zwei weitere Richtlinienanpassungen: am 01.01.2016 und am 01.07.2017.

7.

Frage

Ist darin eine neue Definition von ,,alleinerziehend" vorgenommen worden und

wenn ja, welche?

 

Antwort

Bereits zum 01.01.2016 erfolgte eine neue Definition, die zum 01.07.2017 und 01.01.2018 erneut überarbeitet wurde.

Seit dem 01.01.2016 ist die Alleinerziehung zu überprüfen, wenn der andere Elternteil sich im wesentlichen Umfang an der Erziehung und Betreuung beteiligt. Die Alleinerziehung ist zu verneinen, wenn die Eltern sich die Personensorge gleichmäßig, wenn auch nicht gleichwertig, teilen.

Zum 01.07.2017 erfolgte die Streichung der o.g. Definition und die 1/3-Grenze bzw. 50:50-Grenze der Betreuungsleistung wurde eingeführt. Hierbei hat das Kind die Hälfte der Zeit bei beiden Elternteilen zu verbringen, um die Alleinerziehung grundsätzlich zu verneinen. Bei 1/3 bis zur Hälfte der Zeit beim anderen Elternteil ist eine Einzelfallprüfung notwendig. In dieser Richtlinienänderung kam es weiter zu einer Fehlinterpretation des Gerichtsurteils des VG Berlin vom 27.09.16 (wie oben bei Frage 2).

Dieser Passus wurde zum 01.01.2018 aufgrund der Fehlauslegung des Urteils gestrichen. Auf Wunsch des BMFSFJ wurde er bundesweit im Zeitraum 01.07.2017 bis 31.12.2017 nicht in die Entscheidung der Unterhaltsvorschussstellen bei 33-50%-Betreuung durch den anderen Elternteil berücksichtigt.

Lebt das Kind weniger als 1/3 bei dem anderen Elternteil, ist das Merkmal der Alleinerziehung gegeben.

8.

Frage

Welchen Unterschied gibt es nach Meinung des Bezirksamts in der Funktion

von Wohngeld und der Funktion des Kindesunterhaltes?

 

Antwort

Wohngeld wird einkommensabhängig gezahlt.

Einen Unterhaltsanspruch hat jedes minderjährige Kind gegen den familienfernen Elternteil, das seinen Bedarf nicht selbst decken kann (unabhängig vom Einkommen des betreuenden Elternteils).

 

Mit freundlichen Grüßen

Oliver Schworck