Bauordnungsrecht und Artenschutz

Kleine Anfrage, Harald Gindra (LINKE)

1. Welche Abteilungen im Bezirksamt sind bei Genehmigungsverfahren nach Bauordnungsrecht (artenschutzrechtliche Prüfungen, vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen, Anträge auf Befreiung/Ausnahme), für den Bereich Artenschutz beteiligt?

OSGrünUN teilt hierzu mit:

Die Zuständigkeit für den Baumschutz, artenschutzrechtliche Prüfungen, vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen, für Befreiungen und Ausnahmezulassungen im Zusammenhang mit der Beseitigung von Bäumen und Gehölzen sowie für Maßnahmen bei Gebäudesanierungen liegt beim Umwelt- und Naturschutzamt. Die entsprechenden Belange werden vom Umwelt- und Naturschutz im Rahmen von Planungs- und Genehmigungsverfahren eingebracht.

Ergänzend gebe ich zum bauordnungsrechtlichen Verfahren folgende Hinweise:

Bezirkliche Genehmigungsverfahren nach dem Bauordnungsrecht sind

  •   das vereinfachte Baugenehmigungsverfahren gemäß § 63 BauO Bln,
  •   das vereinfachte Baugenehmigungsverfahren für Werbeanlagen gemäß § 63a BauO Bln,
  •   das Baugenehmigungsverfahren (für Sonderbauten) gemäß § 64 BauO Bln und
  •    die Ausführungsgenehmigung (für Fliegende Bauten) gemäß § 76 BauO Bln.

Daneben gibt es noch die Typengenehmigung nach § 72a BauO Bln. Für diese ist jedoch nicht das Bezirksamt, sondern die Senatsverwaltung zuständig.

Die Baugenehmigung ist zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind (§ 71 Abs. 1 Satz 1 BauO Bln). Eine Baugenehmigung bescheinigt deshalb seit der Änderung der Bauordnung im Jahr 2005 nicht mehr die umfassende Vereinbarkeit des Bauvorhabens mit allen öffentlich-rechtlichen Vorschriften (Aufgabe der sog. Schlusspunkttheorie). Vielmehr muss der Bauherr eigenverantwortlich die Einhaltung von solchen Vorschriften sicherstellen, die die Bauaufsichtsbehörde nicht überprüft und nötigenfalls von anderen Behörden die Genehmigung einholen. Das jeweilige Prüfprogramm der Bauaufsichtsbehörde ergibt sich aus den §§ 63, 63a und 64 BauO Bln. Im Einzelnen:

  •   Im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren (§ 63 BauO Bln) werden geprüft
  1. die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 bis 38 BauGB,
  2. beantragte Zulassungen von Abweichungen im Sinne des § 67 Abs. 1 und 2 Satz 2 BauO Bln,
  3. die Einhaltung anderer öffentlich-rechtlicher Anforderungen, soweit wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entfällt oder ersetzt wird (sog. aufgedrängtes Recht).
  • Im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren für Werbeanlagen (§ 63a BauO Bln) werden geprüft
  1. die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 bis 38 BauGB,
  2. die Einhaltung der Regelungen in Gestaltungsverordnungen,
  3. die Übereinstimmung mit den Anforderungen gemäß den §§ 6, 9 Abs. 1 und 2 BauO Bln, §§ 10 und 16 Abs. 2 BauO Bln sowie beantragte Abweichungen im Sinne des § 67 Abs. 1 und 2 Satz 2 BauO Bln und
  4. die Einhaltung anderer öffentlich-rechtlicher Anforderungen, soweit wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entfällt oder ersetzt wird (sog. aufgedrängtes Recht).
  • Im Baugenehmigungsverfahren (für Sonderbauten, § 64 BauO Bln) werden geprüft
  1. die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 bis 38 BauGB,
  2. die Einhaltung der Anforderungen nach den Vorschriften dieses Gesetzes und auf Grund dieses Gesetzes,
  3.  die Einhaltung anderer öffentlich-rechtlicher Anforderungen, soweit wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entfällt oder ersetzt wird (sog. aufgedrängtes Recht).

Hieraus wird ersichtlich, dass der Artenschutz als Teil des Naturschutzes nur dann in Genehmigungsverfahren nach der Bauordnung geprüft wird, wenn es sich hierbei um aufgedrängtes Recht handelt. Als aufgedrängtes Recht werden solche Rechtsmaterien bezeichnet, die vom jeweiligen Fachrecht dem Baugenehmigungsverfahren ausdrücklich zugewiesen sind, während im Gegenzug das Fachrecht auf ein eigenes Genehmigungsverfahren verzichtet. Typische Beispiele hierfür sind das Milieuschutzrecht und das Denkmalschutzrecht.

Das Naturschutz- bzw. Artenschutzrecht ist dagegen regelmäßig kein aufgedrängtes Recht und wird deshalb auch nicht im Baugenehmigungsverfahren geprüft. Stattdessen muss der Bauherr die Einhaltung des Naturschutzrechts eigenverantwortlich sicherstellen bzw. dort, wo es einer Genehmigung oder einer Anzeige bedarf, sich selbst um das Verfahren bei der jeweils zuständigen Behörde kümmern. Soweit das Bezirksamt zuständig ist, fällt der Natur- und Artenschutz aktuell in die Zuständigkeit der Abteilung für Ordnung, Straßen, Grünflächen, Umwelt und Naturschutz (OSGrünUN).

Soweit es das Bezirksamt betrifft sind lediglich folgende naturschutzrechtliche Belange im Baugenehmigungsverfahren als aufgedrängtes Recht zu prüfen:

- Ausnahmen nach § 5 Baumschutzverordnung bei Vorhaben, die geschützte Bäume beeinträchtigen, werden zugleich mit der Baugenehmigung durch die Bauaufsichtsbehörde im Einvernehmen mit dem Umwelt- und Naturschutzamt erteilt (§ 5 Abs. 4 BaumSchVO). Hiervon abweichend kann die Genehmigung der Ausnahme gleichzeitig mit oder nach Einreichung des Bauantrages gesondert bei der für den Baumschutz zuständigen Behörde beantragt werden. In diesem Fall ist die Bauaufsichtsbehörde nicht zuständig (§ 5 Abs. 5 BaumSchVO).

- Naturschutzrechtliche Entscheidungen und Maßnahmen im Sinne des § 15 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) werden bei Bauvorhaben im Außenbereich (§ 35 BauGB) zugleich mit der Baugenehmigung durch die Bauaufsichtsbehörde im Einvernehmen (§ 19 Abs. 2 Satz 1 Berliner Naturschutzgesetzt; NatSchG Bln) mit dem Umwelt- und Naturschutzamt getroffen (§§ 15, 17 Abs. 1, 18 Abs. 2 und 3 BNatSchG i.V.m. § 19 Abs. 1 NatSchG Bln). Die praktische Relevanz ist allerdings gering, da sich die wenigsten Bauvorhaben im Außenbereich, sondern regelmäßig im Geltungsbereich eines Bebauungsplans (§ 30 BauGB) oder zumindest im unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) befinden.

Daneben gibt es auch Fälle aufgedrängten Naturschutzrechts, bei denen die bezirkliche Bauaufsicht im Einvernehmen mit außerbezirklichen Behörden entscheidet. Dies gilt beispielsweise für Bauvorhaben im Wald im Sinne des Landeswaldgesetzes (LWaldG). Hier entscheidet die Bauaufsicht im Einvernehmen mit der Behörde Berliner Forsten (§ 6 Abs. 1 LWaldG).

Die Ausführungsgenehmigung für Fliegende Bauten gemäß § 76 BauO Bln stellt insoweit einen Sonderfall dar, als dass die Vorschrift kein Prüfprogramm für die Genehmigungserteilung enthält. Deshalb ist das Prüfprogramm aus der Gesetzessystematik sowie dem Sinn und Zweck des § 76 BauO Bln abzuleiten.

Da sich die Ausführungsgenehmigung nur auf standortunabhängige Fragen bezieht, beschränkt sich die Prüfung letztlich auf das Bauordnungsrecht. Und auch insoweit gilt, dass nur standortunabhängige bauordnungsrechtliche Zulassungserfordernisse geprüft werden können. Dazu zählen insbesondere die Anforderungen an den Brandschutz und die Standsicherheit. Der Natur- und Artenschutz kann demgemäß hierbei keine Rolle spielen, weil er standortabhängig ist. Die Berücksichtigung standortspezifischer Gesichtspunkte bleibt dem Verfahren nach § 76 Abs. 6 und 7 BauO Bln vorbehalten. Dabei handelt es sich aber nicht um ein Genehmigungsverfahren nach der Bauordnung.

 

2. Wie viele Planstellen sind für die unter Frage 1 genannten jeweiligen Abteilungen vorgesehen und wie viele davon sind unbesetzt?

Für die Beurteilung des Artenschutzes sind in der Abteilung für Stadtentwicklung und Facility Management – Stadtentwicklungsamt – keine Stellen vorgesehen.

OSGrünUN teilt hierzu mit:

Im Umwelt- und Naturschutzamt sind derzeit 4 Stellen vorhanden, die anteilig artenschutzrechtliche Fragestellungen bearbeiten. Derzeit sind davon 2,5 Stellen besetzt.

 

3. Kommt es bei Genehmigungsverfahren nach Bauordnungsrecht für den Bereich Artenschutz zu Verzögerungen aufgrund fehlender Stellen?

Hierzu liegen keine statistischen Angaben vor. Aber wegen der Fristenregelungen in der Bauordnung (siehe unten 4.) kann es grundsätzlich keine Verzögerungen geben. Denn wenn die Frist nicht gewahrt wird, gilt das Einvernehmen als erteilt.

 

4. Gibt es bei Genehmigungsverfahren nach Bauordnungsrecht für den Bereich Artenschutz zeitliche Fristen, die eingehalten werden müssen?

Gemäß § 69 Abs. 2 Satz 2 BauO Bln gilt die Zustimmung oder das Einvernehmen einer zu beteiligenden Behörde oder sonstigen Stelle als erteilt, wenn sie nicht einen Monat nach Eingang des Ersuchens verweigert wird. Wenn zur Beurteilung eines Vorhabens durch eine beteiligte Behörde oder sonstige Stelle noch zusätzliche Unterlagen oder Angaben erforderlich sind wird die Frist bis zum Eingang der nachgeforderten Unterlagen oder Angaben unterbrochen (§ 69 Abs. 2 Satz 6 BauO Bln).

 

5. Wie schätzt das Bezirksamt die durchschnittliche Arbeitszeit für Genehmigungsverfahren nach Bauordnungsrecht für den Bereich Artenschutz ein? Können die unter 4 genannten Fristen eingehalten werden?

OSGrünUN teilt hierzu mit:

Die Arbeitszeit zur Bearbeitung einer artenschutzrechtlichen Fragestellung kann für das Umwelt- und Naturschutzamt nicht eingeschätzt werden. Insbesondere Verfahren zur Bestimmung und Kontrolle von Ausgleichsmaßnahmen können sich über viele Monate hinziehen.

Bisher war es immer möglich Vorgänge und Stellungnahme zeitnah und fristgerecht zu bearbeiten. Teilweise wurden Fristverlängerungen beantragt, da Antragsunterlagen und Nachweise unvollständig bzw. verspätet vorlagen.

 

6. Welcher zusätzliche Arbeitsaufwand, wie z.B. Prüfungen von Ausgleichsmaßnahmen nach Vorhabenbeginn, entstehen bei abgeschlossenen Genehmigungsverfahren nach Bauordnungsrecht für den Bereich Artenschutz?

OSGrünUN teilt hierzu mit:

Das Umwelt- und Naturschutzamt ist für die Überwachung und dauerhafte Sicherung artenschutzrechtlicher Ausgleichsmaßnahmen zuständig. Ersatzlebensstätten sind dauerhaft zu erhalten. Ersatzhabitate sind in der Regel langjährig, für bis zu 25 Jahre, zu pflegen. Zusätzlich ist der Erfolg der Maßnahmen durch ein standortspezifisches Monitoring zu überprüfen. Dem Umwelt- und Naturschutzamt obliegt die fachliche Kontrolle der Verfahren sowie die Initiierung notwendiger Anpassungsmaßnahmen. Der Bestand und Konzeption von Ausgleichsmaßnahmen wird zusätzlich in einem Kompensationsflächenkataster erfasst und vorgehalten, um so auch den Wissenstransfer und die dauerhafte Betreuung und den dauerhaften Erhalt der Ausgleichsmaßnahmen zu sichern.

 

7. In wie vielen Genehmigungsverfahren der letzten fünf Jahre wurden nach Bauordnungsrecht die Belange des Artenschutzes über vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen nach § 44 (5) BNatSchG geregelt und in wie vielen Fällen wurden stattdessen artenschutzrechtliche Ausnahmeverfahren unter Beteiligung der Naturschutzverbände eingeleitet?

OSGrünUN teilt hierzu mit:

Das Umwelt- und Naturschutzamt ist für die Überwachung und dauerhafte Sicherung artenschutzrechtlicher Ausgleichsmaßnahmen zuständig. Ersatzlebensstätten sind dauerhaft zu erhalten. Ersatzhabitate sind in der Regel langjährig, für bis zu 25 Jahre, zu pflegen. Zusätzlich ist der Erfolg der Maßnahmen durch ein standortspezifisches Monitoring zu überprüfen. Dem Umwelt- und Naturschutzamt obliegt die fachliche Kontrolle der Verfahren sowie die Initiierung notwendiger Anpassungsmaßnahmen. Der Bestand und Konzeption von Ausgleichsmaßnahmen wird zusätzlich in einem Kompensationsflächenkataster erfasst und vorgehalten, um so auch den Wissenstransfer und die dauerhafte Betreuung und den dauerhaften Erhalt der Ausgleichsmaßnahmen zu sichern.

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