Großsiedlung am Stadtrand ohne Lobby vernachlässigt?

Große Anfrage, Drs. 0067/XXI (Fraktion DIE LINKE)

1. Frage
Teilt das Bezirksamt unsere Ansicht, dass zu einem lebendigen Viertel nahe und vielfältige Einkaufsmöglichkeiten, Treffmöglichkeiten in gastronomischen Orten, Plätze mit Aufenthaltsqualität, Zugang zu Serviceleistungen (z.B. Finanz- und Versicherungsleistungen) gehören und sieht es solche Bedingungen in der Großsiedlung Marienfelde als ausreichend gegeben an?

Antwort auf 1. Frage
Selbstverständlich teilt das Bezirksamt die Ansicht, dass zu einem lebendigen Wohnquartier neben der sozialen Mischung auch die von Ihnen beschriebene Nutzungsvielfalt in einem Viertel gehört. Deshalb hat ja der Bezirk im seinem Einzelhandels- und Zentrenkonzept – zuletzt beschlossen im Jahr 2015 – den Bereich an der Hildburghauser Straße als Ortsteilzentrum ausgewiesen. Tempelhof-Schöneberg zeigt damit, welche Entwicklungsperspektiven für dieses Wohnquartier möglich sind. Im bezirklichen Einzelhandels- und Zentrenkonzept wird der Bereich wie folgt beschrieben (Zitat):

„Zwischen der Bezirksgrenze zu Steglitz-Zehlendorf und der Marienfelder Allee dehnt sich das aus drei Einzelhandelsbereichen bestehende tripolare Ortsteilzentrum entlang der Hildburghauser Straße aus (Gesamtlänge ca. 1.100 Meter). Diese sind kompakt als Center bzw. Ladenzeilen organisiert und dienen der Nahversorgung der umliegenden Bevölkerung.“

Im Stadtentwicklungsplan Zentren 2030 (StEP Zentren) der zuständigen Senatsverwaltungen ist die Hildburghauser Straße ebenfalls als Ortsteilzentrum dargestellt.

Das Quartiersbüro W40 nimmt wie folgt Stellung:

Das Einkaufszentrum an der Waldsassener Straße ist ein wichtiger Kristallisationspunkt und Nahversorgungsstandort im südwestlichen Teil der Großsiedlung und besitzt, insbesondere für die älteren Bewohner*innen, eine große Bedeutung, da er fußläufig erreichbar ist.

Das Quartiersbüro unterstützt die Bewohner*innen in ihrem Anliegen, für das Nahversorgungszentrum eine höhere Nutzungsqualität zu erreichen.

Im Rahmen seiner Tätigkeit hat das Quartiersbüro in vielfachen Gesprächen mit Bewohner*innen die Bedarfe im Hinblick auf das Nahversorgungszentrum in Erfahrung gebracht und kommuniziert.

Derzeit ist ein Gesprächstermin mit der degewo in Vorbereitung, um u.a. über aktuelle Bauvorhaben der degewo im Bezirk zu sprechen, die Quartiersentwicklung Marienfelde Süd sowie die Strategie zur Einbindung und Partizipation der Anwohnerinnen und Anwohner.

Die degewo nimmt wie folgt Stellung:

Zu einem lebendigen Viertel gehören weitaus mehr Nutzungen und Angebote als die in der Frage aufgeführten. Zu einem lebendigen Viertel gehören auch Kindertagesstätten und Schulen, eine Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr, Grünflächen mit Aufenthaltsqualität, Freizeitangebote und Treffmöglichkeiten für unterschiedliche Ziel- und Altersgruppen, Beratungsangebote und nicht zuletzt gute Wohnungen. In der Großsiedlung Mariengrün gibt es das wie etwa den Jugendclub Haus of Fun, das Nachbarschafts- und Selbsthilfezentrum im Alten Waschhaus, Sportflächen, eine Kirchengemeinde, das Stadtteilbüro W40, einen Gemeinschaftsgarten, halböffentliche und öffentliche Spielplätze, Vereine und umfassend sanierte Wohngebäude samt Außenanlagen.

2. Frage
Wie schätzt das Bezirksamt die Bedeutung, den gegenwärtigen Zustand und das Potential des Nahversorgungszentrums EKZ Waldsassener Straße / Ecke Tirschenreuther Ring ein, das in einem großen von der landeseigenen degewo dominierten Wohngebiet von der gleichen Gesellschaft vermietet wird?

Antwort zur 2. Frage:
Die Bedeutung für das Wohnviertel hat der Bezirk mit den soeben dargelegten sektoralen Konzepten deutlich gemacht. In den vorliegenden Entwicklungskonzepten wird allerdings auch nicht verschwiegen, dass dieses tripolare Ortsteilzentrum an der Hildburghauser Straße zusammen mit dem Bereich an der Marienfelder Allee nur einen schwachen städtebaulichen Zusammenhang aufweist. Eine einzelhandelsbezogene und damit auch Zentren stärkende bauliche Verknüpfung der Bereiche ist nicht realisierbar und somit unrealistisch.
Auch wenn die von Ihnen angesprochene städtische Wohnungsbaugesellschaft hier der dominierende Vermieter ist, hat das Bezirksamt nur wenig bis gar keinen
Einfluss auf die von der Wohnungsbaugesellschaft verfolgte Vermietungsstrategie. In meiner Abteilung sowie im Stadtentwicklungsamt gab es dazu jedenfalls keine Gespräche.

Das Quartiersbüro W40 nimmt wie folgt Stellung:

Das Einkaufszentrum Waldsassener Straße ist mit seinen Geschäften für den Standort ein sehr wichtiger Nahversorger. Wir schätzen das Potential des Nahversorgungszentrums jedoch als weitestgehend ausgeschöpft ein, daher ist eine Erweiterung bzw. wesentliche Vergrößerung am Standort aus planungsrechtlicher Sicht schwer darzustellen. Der Standort wird weitestgehend von denen dem Standort vorgelagerten Zufahrtsstraßen liegenden Einkaufsmöglichen wie z.B. der Hildburghauser Straße versorgt. Das Einkaufszentrum Waldsassener Straße kann bis zu einer Größe von max. 800 m² Verkaufsfläche aufgrund der zur Verfügung stehenden Flächen und den planungsrechtlichen Vorgaben erweitert werden. Aufgrund dieser Rahmenbedingungen kann das übliche Sortiment eines Lebensmittelmarktes hier nicht angeboten werden.

3. Frage
Wird das Bezirksamt dabei einbezogen, das EKZ aufzuwerten und setzt es sich dafür ein, es in einem Gesamtkonzept mit Gewerbe- und Anwohnerbeteiligung weiterzuentwickeln und aufzuwerten, wenn es eine stadtpolitisch wichtige Funktion im Zentrum der Großwohnsiedlung spielt?

Antwort zur 3. Frage:
Wie bereits erwähnt, ist es die Aufgabe der Wohnungsbaugesellschaft, hier ein attraktives Wohnviertel und Einkaufsquartier zu schaffen. Der Bezirk und auch das Land Berlin haben ihre planungsrechtlichen Hausaufgaben gemacht – Umsetzen muss es nun der Eigentümer. Gerne beraten und unterstützen natürlich meine Kollegen im Stadtentwicklungsamt bei der Konzeptfindung und den möglichen Vorschlägen zukünftiger Entwicklungen. Allerdings – bis jetzt ist der Eigentümer nicht an uns herangetreten.
Das Quartiersbüro W40 nimmt wie folgt Stellung:
Obwohl es keine direkten Eingriffsmöglichkeiten bei der Weiterentwicklung des Einkaufszentrums gibt, ist das Bezirksamt gemeinsam mit dem Quartiersbüro W40 bestrebt, den Standort als Kristallisationspunkt mit Entwicklungspotenzial u.a. durch folgende Aktionen attraktiver zu gestalten:
Die Ausstellung zum 50-jährigen Jubiläum wurde mit Zustimmung der degewo bewusst an der unattraktiven Fassade des Gewerbezentrums angebracht, unter anderem auch, um deren Aufwertung zu erzielen. Außerdem wurde damit für den Platz eine neue Nutzungsmöglichkeit aufgezeigt, die über die bisherige Nutzung als Verkehrsfläche hinausgeht. Dazu trug auch die feierliche Ausstellungseröffnung bei.
Eine Bücherbox wurde aufgestellt, die ebenfalls die Aufgabe hat, dem Ort eine neue Nutzungsmöglichkeit als Treff- und Kristallisationspunkt zuzuschreiben. Sie wird bereits rege genutzt.

Die degewo nimmt wie folgt Stellung:

Das EKZ befindet sich in unserem Eigentum und wird von uns verwaltet. Da planungsrechtlich keine Vergrößerung des EKZ möglich ist, ist eine Einbeziehung des Bezirksamtes in die laufenden Verträge aus unserer Sicht schwer umsetzbar. Nichts desto trotz arbeiten wir sehr eng mit dem Bezirksamt zusammen und werden regelmäßig über Vorhaben unterrichtet.

4. Frage
Folgten nach der Ankündigung der degewo am 18. September 2021 (bei der Feier 50 Jahre Großwohnsiedlung), dass sie nach 50 Jahren nun Planungen vornimmt, das EKZ zu sanieren, bereits Absprachen / Beratungen mit dem Bezirksamt?

Antwort zur 4. Frage
Es gab bis jetzt keine Absprachen, (Bau-)Beratungen oder sonstige Gespräche im Bezirksamt oder im Fachbereich Stadtplanung zur zukünftigen Entwicklung.

Die degewo nimmt wie folgt Stellung:

Wir befinden uns derzeitig mit dem Nahversorger vor Ort in der Verhandlung, diesen zu modernisieren, zu sanieren und ggfs. innerhalb des planungsrechtlichen Rahmens zu vergrößern. Da Vertragsverhandlungen der Verschwiegenheit unterliegen, können keine detaillierteren Angaben zu den einzelnen Maßnahmen veröffentlicht werden. Der Fortschritt dieser Verhandlungen hängt im Wesentlichen vom Planungsverhalten aller Beteiligten ab. Konzepte einzelner Märkte unterliegen ausschließlich den Märkten selbst, diese richten sich jedoch nach den am Markt nachgefragten Bedürfnissen. Insofern kann man davon ausgehen, dass die am Standort nachgefragten Sortimente angeboten werden.

5. Frage:
Unterstützt das Bezirksamt die Bestrebung aus dem Wohngebiet (rund 800 Unterschriften einer von der degewo unbeantworteten „Petition“) für die Wiederansiedlung einer Gebietsgaststätte nach Verlust des „Kegelcenter 2000“.

Antwort zur 5. Frage:
Wie bereits ausgeführt, unterstützt das Bezirksamt jede Aufwertungs- und Ansiedelungsbemühung. Allerdings – und ich wiederhole mich – hier ist zunächst der Eigentümer gefordert. Gerne biete ich Gesprächstermine an.
Das Quartiersbüro W40 nimmt wie folgt Stellung:
In den Gesprächen mit Bewohner*innen wurden auch die Präferenzen der künftigen Nutzung der bisherigen Gaststätte erfragt. Die Meinungen dazu sind durchaus geteilt. Während sich ein Teil der Bewohner*innen für die Wiedereinrichtung der Gaststätte ausspricht und z.T. stark macht, befürwortet ein anderer Teil eine Vergrößerung und Aufwertung des bestehenden Lebensmittelmarktes.
Um den Bewohner*innen Auskunft zur Zukunft der Gewerbefläche zu geben und die Beschwerden zu adressieren, wurden mehrmals Auskünfte zur Planung bei verschiedenen Abteilungen der degewo (Mitarbeitende der Abt. Gewerbe, Bereichsleitung Gewerbe, Quartiersmanagement) erbeten.
Das Thema wurde auch in die Tagesordnung des Stadtteilforums am 03.06.2021 aufgenommen und dazu eine Auskunft bei der degewo eingeholt. Die degewo war gebeten worden, am Stadtteilforum teilzunehmen. Eine Mitarbeiterin der degewo äußerte in diesem Rahmen, dass sie das Anliegen der Mieterschaft sehr gut verstehen könne und es bei der Gewerbeabteilung einbringen werde.

Die degewo nimmt wie folgt Stellung:

Der Mietvertrag wurde durch den ehemaligen Mieter und Gastronomen zum 31.12.2020 gekündigt. Dies ist auch der Grund für den Rückbau der Kegelbahn, die sich im Eigentum des ehemaligen Mieters befindet. Uns ist bekannt, dass sich ein Teil des gesellschaftlichen Lebens von Mariengrün in der ehemaligen Gaststätte abgespielt hat. Aus diesem Grund bedauern wir die Kündigung des Gastronomen sehr. Jedoch werden an dem Standort Waldsassener Straße bereits seit geraumer Zeit nur schwache Umsätze im Gastronomiebereich erzielt. Auf persönlich oder wirtschaftlich motivierte Entscheidungen der Mieter_innen haben wir leider keinen Einfluss.

Die Anregung der Mieter_innen zur (Wieder-)Ansiedlung einer Gebietsgaststätte haben wir aufgenommen und prüfen Möglichkeiten einer Gastronomie-Ansiedlung.

6. Frage:
Teilt das Bezirksamt die Ansicht, wenn Attraktivität und Aufenthaltsqualität an dieser Stelle gehoben werden, dass auch ein Neustart eines Wochenmarkts unter anderen Bedingungen stattfinden könnte?

Antwort zur 6. Frage:
Hier danke ich der Abt. OSGrünUN für die folgende Zuarbeit:

Der Wochenmarkt an der Waldsassener Straße/Tirschenreuther Ring war seit Jahren unrentabel. Die Einnahmen deckten bei weitem nicht die Ausgaben für die Durchführung und Bewirtschaftung des Marktes.
Es wurden seitens des Bezirkes zahlreiche Anstrengungen unternommen, um den Erhalt dieses Marktstandortes zu sichern. So wurde allen Händler_innen, die sich bei der bezirklichen Marktverwaltung um einen Standplatz auf den bezirkseigenen Märkten beworben hatten, sofort auch das Angebot unterbreitet, sich direkt und sofort auf den Markt an der Waldsassener Straße stellen zu können. Dieses

Angebot wurde, trotz der langen Wartezeiten für andere Märkte, kaum je angenommen.
Nicht einmal der Erlass der Standgebühren führte dazu, dass Händler_innen dort tätig sein wollten.
Zudem hatten die Marktmeister_innen ihre Händler_innen persönlich angesprochen, ob sie nicht auch Interesse an diesem Markt hätten. Auch wurden Händler_innen gebeten, über Mundpropaganda bei anderen Händler_innen für den Markt zu werben.
Ferner gab es seit Jahren „Online“ einen Hinweis, dass auf dem Markt Waldsassener Straße noch freie Standplätze vorhanden waren.

All diese Maßnahmen führten nicht zum gewünschten Erfolg.
Da darüber hinaus die in der Fragestellung angesprochene zu erhöhende „Attraktivität und Aufenthaltsqualität“ an diesem Standort nicht konkreter erläutert wird, muss die Frage nach jetzigem Stand sowie nach jetzigen Erfahrungswerten leider verneint werden.

Das Quartiersbüro W40 nimmt wie folgt Stellung:

Bis zur Schließung des Marktes wurden die Marktzeiten in den Veröffentlichungen des Quartiersbüros bekannt gemacht.
Die bisherigen Marktstandbetreiber (Asia-Imbiss, Burger-Imbiss, asiatischer Bekleidungsstand) wurden vom Quartiersbüro darin unterstützt, ihr Anliegen zum Weiterbetreiben ihrer Marktstände an der Waldsassener Straße beim Ordnungsamt, Fachbereich Gewerbezulassungen, einzureichen. Inwieweit sich die Standbetreiber um eine Gewerbe- bzw. Sondernutzungserlaubnis bemüht haben, entzieht sich unserer Kenntnis.

Derzeit ist kein Marktstand in der Waldsassener Straße vertreten.

7. Frage:
Welche Planungen des Bezirksamts gibt es, aufgrund des dort hohen Anteils mobilitätseingeschränkter und älterer Menschen, neben der Aufenthaltsqualität auch die Fußläufigkeit und Barrierefreiheit rund um das EKZ zu verbessern (Arztpraxis ohne Aufzug, entlang der Anliegerstraßen keine Sitzbänke)?

Antwort zur 7. Frage:
Auch hierbei danke ich der Abt. OSGrünUN für die folgende Zuarbeit:

Die Aufstellung von Sitzbänken im öffentlichen Straßenland muss auch hinsichtlich der Barrierefreiheit für dort Entlanggehende nach dem Mobilitätsgesetz geprüft werden. Meist sind die vorhandenen Gehwege in den Anliegerstraßen leider nicht ausreichend breit, um das Aufstellen von Bänken zu ermöglichen.

Im Rahmen einer Quartiersgestaltung sollte daher mit den anliegenden Grundstückseigentümern der Wohnsiedlungen geprüft werden, ob auf den Grundstücken anschließend an die Straßenfläche derartige Sitzmöglichkeiten eingebaut werden können.

8. Frage:
Hat das Bezirksamt Informationen, ob sich die Berliner Sparkasse aus dem Quartier ganz zurückzieht (nach Sprengung der Geldautomaten Anfang Juli 2021 ist der Selbstbedienungsstandort geschlossen, keine Information, kein Bau-/Installationsfortschritt), bzw. wann sie den Selbstbedienungsbetrieb vor Ort wieder aufzunehmen gedenkt?

Antwort zur 8. Frage:
Die Berliner Sparkasse nimmt wie folgt Stellung:

Uns sind herstellerseitig - als wichtigste Voraussetzung für die Wiedereröffnung - die Hände gebunden. Die Zusatzmodule für die Erhöhung der Sicherheit für diecash Geräte stehen erst im Laufe 2022 zur Verfügung, hieß es im Herbst 2021. Wir haben durch das enge Begleiten einen Liefertermin noch im Februar avisiert bekommen. Da uns die Sicherheit der Bewohnerinnen und Bewohner und eben auch deren Versorgung als Berliner Sparkasse in diesem Kiez am Herzen liegt, wollen wir weiterhin den SB Service möglichst noch im ersten Quartal wiedereröffnen.
So lange und darüber hinaus stehen unsere Mitarbeitenden vom Oberhofer Weg persönlich zur Verfügung, in Lankwitz ein weiterer SB-Raum oder ein Geldautomat am Ostpreußendamm.